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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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du nicht wieder in den Abfallhaufen zurück, der dich ausgespuckt hat?«, zischte Friko und bohrte Wulf die Knöchel in die Rippen, sodass dieser vor Schmerz die Luft durch die Zähne einsog. Noch immer tat ihm beinahe jeder Knochen im Leib weh, da Eberhard von Württembergs Schergen nicht unbedingt zimperlich mit ihm umgegangen waren. Er wollte sich gerade mit letzter Kraft aufbäumen, um seinen Widersacher abzuschütteln, als diesen ein solch gewaltiger Faustschlag traf, dass er auf das zertrampelte Gras geschleudert wurde, als wöge er nicht mehr als ein Sack Federn.
    Wie aus dem Nichts tauchte der mit einem Plattenpanzer bewehrte Waffenmeister über Wulf auf, der sich Blut spuckend auf die Seite wälzte. Undeutlich drang das Geräusch zerreißenden Stoffes an sein Ohr, und als sich der Nebel vor seinen Augen allmählich lichtete, riss er erstaunt die Augen auf. Mit einem einzigen Griff zwang Bolko den jungen Oettinger vor sich auf den Bauch, machte eine kurze Peitsche von seinem Gürtel los und begann, auf den Knaben einzudreschen.
    »Wann. Lernst. Du. Endlich. Staete. Und. Mâze?!« Jedes dieser Worte wurde von einem wuchtigen Hieb begleitet, der mit einem hässlich klatschenden Geräusch auf Frikos nacktem Rücken auftraf. Kein Laut kam über die Lippen des Knappen, obwohl seine Haut schon bald aufsprang und heftig blutete. Die übrigen Jungen, die über den Kampfplatz verteilt waren, hielten erschrocken in ihren Übungen inne, um das Spektakel zu verfolgen. Nach etwas mehr als einem Dutzend erbarmungslos geführter Schläge ließ Bolko schließlich von seinem Opfer ab und trat an Wulf heran, der gegen eine plötzlich aufsteigende Übelkeit ankämpfte. Die durchdringenden grauen Augen des erfahrenen Kämpfers verengten sich zu Schlitzen, als er den Sohn seines Herrn von oben bis unten musterte. Einige Augenblicke fürchtete Wulf, ihn erwarte die gleiche Behandlung wie Friko, der sich mit steinerner Miene sein Hemd wieder über den Kopf gezogen hatte. Doch dann verzog sich der harte Mund zu einem Lächeln, was das von Narben entstellte Gesicht so vollkommen verwandelte, dass Wulf für einen flüchtigen Moment erahnen konnte, wie der Waffenmeister ausgesehen haben musste, bevor der Krieg in Frankreich ihn gezeichnet hatte. Denn dies war eines der ersten Geheimnisse gewesen, die Johann von Falkenstein Wulf kurz nach seiner Ankunft im Knappenquartier anvertraut hatte: dass Bolko auf der Seite des englischen Königs gekämpft hatte, der seit über drei Jahrzehnten mit den Franzosen um die Thronfolge in Frankreich stritt – in einem Krieg, von dem manche sagten, dass er hundert Jahre dauern würde.
    Während Wulf sich zusehends unwohler in seiner Haut fühlte, tastete Bolkos Blick ihn von oben bis unten ab, bis er schließlich mit dem Kinn auf die jenseits des Kampfplatzes gelegene Burg deutete. »Es ist genug für heute. Du kannst dich ausruhen.« Bevor er eine Antwort stammeln konnte, hatte sich Bolko bereits wieder seinen übrigen Schützlingen zugewandt, die er mit donnernder Stimme ermahnte: »Nicht so müde, ihr Faulpelze! Auf dem Schlachtfeld gibt es keine Pausen.«
    Humpelnd sammelte Wulf seine Siebensachen ein und machte sich auf den Weg zur Zugbrücke, über die bereits den ganzen Tag voll beladene Wagen holperten. Als er den Hof erreicht hatte, wäre er beinahe von einem Weinfass überrollt worden, dem ein aufgeregter Bauer hinterherhechtete, um es gerade noch rechtzeitig zum Stehen zu bringen, bevor es an dem steinernen Torbogen zerschellte. Ein Stapel bis zum Rand gefüllter Kisten ließ Wulf das Wasser im Mund zusammenlaufen, da diese nicht nur riesige Käselaibe und Buttertröge, sondern auch kunterbunte Früchte, Honigkrüge und allerhand Gewürzpflanzen enthielten. Ein Schwarm Bediensteter schaffte pralle Mehlsäcke in die Brunnenstube und das Backhaus, dessen Rauchabzug dicke Schwaden in den blauen Nachmittagshimmel spuckte. Außerdem hingen an einem extra für diesen Zweck errichteten Gestell von den Jägern erlegte Hasen, Rebhühner, Enten, Wachteln und eine schlanke Hirschkuh. In Anbetracht solcher Köstlichkeiten Mâze – Maß – zu halten würde sicherlich nicht nur ihm schwerfallen, dachte er, da Bolko in den sechs Tagen, die Wulf bereits auf Katzenstein verbracht hatte, nicht müde geworden war, diese zweithöchste aller ritterlichen Tugenden zu predigen. Dieses Gebot, Maß zu halten und bei allem den Mittelweg zu finden, wurde nur noch von den Anforderungen der Staete übertroffen, die

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