Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
gesehen. Nicht einmal einen verdächtigen Schwarm Krähen oder gar einen Schattenvogel. Das Land war menschenleer und vollkommen verwüstet. Wenn es Überlebende gab, waren sie geflohen. Alles, was zurückgeblieben war, gleichgültig, ob Mensch oder Tier, hatten die Eroberer getötet. Daran, das Gebiet zu besetzen und zu regieren, schienen sie vorerst gar kein Interesse zu haben. Es ging ihnen anscheinend nur um die Zerstörung an sich und die möglichst schnelle Ausdehnung ihrer Macht. Und darum, jeden Widerstand zu brechen.
Lirandil entschied, dass sie es von nun an wagen konnten, auch am Tag ihren Weg fortzusetzen. Sie kampierten jetzt zumeist nur für wenige Stunden, um sich auszuruhen, und marschierten dann weiter. Der Hilfszauber, den Lirandil bei Arvan und den anderen durchführte, um das Schlafbedürfnis zu dämpfen, wirkte kaum.
Es war gegen Mittag, während sie über vollkommen flaches Grasland wanderten, als Brogandas plötzlich stehen blieb und aufmerksam lauschte.
»E ine Hornechse«, stellte er fest. »A ber es ist nur ein einzelnes Tier mit einem Reiter darauf.«
»I ch nehme an, dass es mindestens drei Orks sind, die darauf reiten«, ergänzte Lirandil. »W enn sie ein schwereres Gewicht zu tragen haben, ändert sich die Gangart.«
»D ann können wir ja froh ein, dass uns keine Übermacht erwartet«, meinte Arvan. Er wollte zum Elbenstab greifen, fasste aber dann doch den Beschützer. Eine falsche Wahl der Waffe, wisperte die Stimme in seinem Kopf.
»W as sollen wir tun?«, fragte Zalea. »D as Gras ist so abgefressen, dass es noch nicht einmal etwas nützen würde, wenn wir uns auf den Boden legten.«
»S ie können uns nicht übersehen, wenn sie in dieser Richtung weiterreiten«, stimmte Lirandil zu.
»M aximal drei Orks?«, fragte Whuon. »D as ist eine Kleinigkeit.« Er wandte sich an Arvan. »T raust du dir zu, einer Hornechse deinen Willen aufzuzwingen?«
»I ch weiß es nicht.«
»S tell dir einfach vor, sie ist ein etwas größeres Baumschaf.«
»I ch könnte es versuchen.«
»F ein, dann haben wir bald ein Reittier, das unsere Reise etwas beschleunigt.«
»A ber beeinflussen ist etwas anderes, als wirklich einem Geschöpf den eigenen Willen aufzuzwingen und seine Schritte zu lenken«, gab Arvan zu bedenken.
Aber Whuon machte eine wegwerfende Handbewegung. »D u wirst dir einfach die größte Mühe geben– und wir laufen uns keine Blasen mehr.«
»U nd so etwas bei einem Schuhträger«, warf Borro ein. Aber Whuon achtete nicht auf ihn, denn inzwischen war die Hornechse am Horizont aufgetaucht. Sie trampelte in einer beachtlichen Geschwindigkeit über die Ebene. Schneller als jedes Pferd preschte das massige Tier dahin, pflügte dabei regelrecht den grasbewachsenen Boden um und zog eine Staubwolke hinter sich her.
Whuon griff nach seinem Langschwert. Er schwenkte es in der Luft und rief, so laut er konnte.
»H ört auf damit!«, forderte Lirandil. »E uer Plan ist nicht hinreichend überlegt!«
»E s ist wenigstens einer«, erwiderte Whuon. »B rogandas! Sorg doch mit einem magischen Trugbild oder irgendwas anderem für etwas Aufmerksamkeit! Sonst reiten diese sturen Orks noch an uns vorbei!«
»L irandil scheint den Scharfblick dieser Scheusale etwas überschätzt zu haben«, lautete Borros Kommentar.
Brogandas murmelte eine Formel und hob beide Hände zum Himmel. Dann senkte er sie. Blitze fuhren aus den Fingerspitzen heraus. Dort, wo sie ins Gras drangen, entstand ein Feuer. Auf die Entfernung mussten die Orks darin ein Lagerfeuer erkennen. Arvan bemerkte allerdings, dass die Flammen eigenartig durchscheinend waren und das Gras, in das der Dunkelalb sein Kräfte hineingesengt hatte, darunter hervorschimmerte und nicht verbrannte. Ein Trugbild, und noch nicht einmal ein besonders überzeugendes, dachte Arvan.
Aber es erfüllte seinen Zweck.
Die Hornechse änderte leicht die Richtung und näherte sich. Als die Entfernung geringer wurde, konnte auch Arvan erkennen, dass insgesamt drei schwer bewaffnete Orks auf dem Rücken des Tiers Platz genommen hatten. Der erste führte es, indem er an den oberen Hörnern der Echse riss. Wenn die Echse nicht so wollte wie er, dann setzte es auch Faustschläge mit der geballten Orkpranke hinter den Knochenschild, der den Kopf schützte. Die beiden anderen Orks waren mit Sichelschwertern und Wurfäxten ausgerüstet. In einem langen Lederfutteral, das an den Riemen des breiten Tragegurts befestigt war, der den Körper des Reittiers
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