Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
längere Zeit hier gelebt hatten, darauf mit besonderer Empfindlichkeit reagierten. Ein Brand war die größte Gefahr für alle Waldbewohner, von der Baumfliege bis zu den fleischfressenden Katzenbäumen.
Finstere Ahnungen stiegen in Neldo auf. War mit Gomlos Baum etwa dasselbe geschehen wie mit jenem Wohnbaum, an dem sie vorbeigekommen waren und wo Orks ein furchtbares Massaker angerichtet hatten?
Neldo versuchte diesen Gedanken abzuschütteln wie ein stechwütiges Insekt. Aber es gelang ihm nicht. Der Gedanke nagte an ihm und ließ sein Herz schneller schlagen.
Ich hätte diesen Wald niemals verlassen dürfen, ging es ihm durch den Kopf. Er schalt sich gleich darauf einen Narren. Als ob es etwas hätte ändern können, wenn ein einziger Halbling mehr zur Verteidigung von Gomlos Baum zur Verfügung gestanden hätte! So ein blanker Unsinn!
Er hob die Nase, schnüffelte wie ein wildes Tier und versuchte die Spuren des in der Luft hängenden Brandgeruchs näher zu bestimmen. Aus welcher Richtung kam das? Wurde der Geruch vielleicht nur durch einen kräftigen Wind in diesen Teil des Waldes getragen? Oder waren jetzt irgendwo ein paar dumme Orks so unvorsichtig, ein Feuer zu entzünden, weil sie es leid geworden waren, die Hirne ihrer Opfer roh zu verspeisen? Bei allen Waldgöttern, alles ist möglich, sagte er sich. Du solltest dich nicht verrückt machen.
Aber genau das tat er eigentlich schon seit einer geraumen Weile. Eigentlich schon seit er zusammen mit Arvan, Lirandil und den anderen Gaa verlassen hatte. Ganz bestimmt aber, seit fest stand, dass sie von Asanilon aus zum Halblingwald zurückkehren würden, um den Runenbaum aufzusuchen.
Neldo setzte seinen Weg fort. Der Brandgeruch wurde stärker. Er hing schwer in der Luft. Er schwang sich mit einer Ranke zum nächsten Baum und blickte dabei auf den Waldboden, der mit so viel Wandermoos bedeckt war, wie er es zuvor noch nicht gesehen hatte. Ein Ork lief durch das Moos, sank dabei fast bis zu den Knien in die feuchten Gewächse ein. Der Ork blickte empor und bemerkte Neldo. Augenblicklich griff er nach einem Wurfring, den er am Gürtel trug, und schleuderte ihn mit ungeheurer Wucht. Neldo hatte die Hauptastgabel des Nachbarbaums noch nicht erreicht, als der Wurfring, aus dem sich während des Fluges messerscharfe Klingen herausklappten, die Ranke durchtrennte.
Neldo fiel herab, landete im Wandermoos und sank so tief darin ein, dass er für einen Moment nicht zu sehen war. Er rappelte sich auf, ruderte mit den Armen und Beinen, um sich aus den glitschigen Pflanzen zu befreien. Er hörte das Keuchen des herannahenden Orks. Wenn so viele Schichten von Wandermoosmatten übereinanderlagen, dann hieß das, es hatte in der Nähe einen Brand gegeben, der noch viel verheerender gewesen sein musste als jener, dessen Spuren sie unterwegs gesehen hatten. Noch bevor Neldo sich wieder aufgerappelt hatte, war der Ork über ihm. Mit einem lauten Schrei ließ er seine monströs große Streitaxt auf den Halbling niedersausen.
Der Schlag verfehlte Neldo nur knapp. Dieser riss sein Rapier hoch und stieß blitzschnell zu. Der Stoß war genau gezielt. Er traf den Ork in den Hals. Die blutige Klinge des Halblings ragte eine Elle weit aus dessen Nacken hervor. Neldo taumelte zurück und schaffte es nicht, das Rapier wieder aus dem Körper seines Gegners zurückzureißen. Er wollte zum Langmesser greifen, verlor aber auf dem glitschigen Wandermoos seinen Halt und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.
Ein röchelnder Laut drang aus dem geöffneten Orkmaul. Ein Laut, der wohl eigentlich ein Wutschrei hatte werden sollen.
Blut spritzte ihm zwischen den Hauern heraus.
Der Ork schaffte es gerade noch, seine Axt ein zweites Mal emporzureißen. Doch er war nicht mehr in der Lage, den Schlag auch noch auszuführen. Der Griff seiner Pranke um den Axtstiel lockerte sich. Die Waffe entfiel ihm, und sein stämmiger, äußerst kräftiger Körper brach in sich zusammen.
Er sank in das feuchte Moos ein. Neldo war schon im nächsten Moment bei ihm, griff nach seinem Rapier und wollte es aus dem Hals seines Gegners herausziehen, als er bemerkte, dass der Ork noch lebte.
»W as habt ihr Scheusale getan?«, zischte Neldo, und sein Gesicht verzog sich zu einer grimmigen, hasserfüllten Maske. »Z u wie vielen seid ihr hier in der Gegend?«
Ein Schwall von Blut kam aus dem Rachen des Orks heraus.
»D u… bist… das Scheusal, Halbling«, wisperte er dann und war im nächsten
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