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Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)

Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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seiner Eltern lag etwas höher. Er kletterte den gewaltigen Ast empor, der breiter war als selbst die Heeresstraßen, die der Waldkönig Haraban mitten durch sein Reich hatte ziehen lassen, um dessen einzelne Teile und Provinzen besser miteinander zu verbinden.
    Wie oft war er den Ast früher emporgeklettert?
    Er hätte es kaum zählen können. Jeden Tag war er mehrmals über diesen Ast gegangen. Wie oft hatte er diesen Weg verflucht und darüber geschimpft, dass seine Eltern unbedingt eine Baumhöhle bewohnen mussten, die verhältnismäßig weit oben im Geäst des Wohnbaums gelegen war.
    Jetzt hätte er nichts dagegen gehabt, diesen Weg doppelt und dreifach zu gehen, wenn dafür nur alles so geblieben wäre, wie er es gewohnt war, und Gomlos Baum sich nicht in einen Ort des Grauens verwandelt hätte.
    Dort, wo sich der Ast des riesigen Baums abermals teilte, lag die Wohnhöhle seiner Familie. Die Holztür war aus ihren Scharnieren gebrochen worden, das Glas in den Fenstern zersprungen. Ruß zeugte davon, dass auch hier Flammen gewütet hatten. Wahrscheinlich sogar länger als in den tieferen Bereichen des Wohnbaums, denn es gab hier nirgends Wandermoose. Sie hatten es offenbar nie bis hier oben geschafft, und der Brand war irgendwann von selbst erloschen.
    Zögernd trat Neldo an die Tür. Das Rapier hielt er kampfbereit in der Rechten, denn er wusste ja nicht, ob nicht doch noch irgendwo ein versprengter Ork nur darauf wartete, ihn umzubringen. Selbst wenn es nur ein Verletzter war, den die Scheusale zurückgelassen hatten, konnte das ausgesprochen unangenehm werden.
    Neldo schluckte. Sein Herzschlag hämmerte, und in seinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit.
    Sieh hin!, sagte er sich. Du kannst der Wahrheit sowieso nicht entrinnen. Durch nichts, was du im Moment tun oder lassen könntest.
    Dann fasste er etwas Mut, machte den entscheidenden Schritt in das Halbdunkel der Baumhöhle hinein.
    Im nächsten Moment stieß er einen Schrei aus.
    Einen Schrei, so schmerzvoll und verzweifelt, wie es wohl keinen zuvor aus dem Mund eines Halblings gegeben hatte.

Der Runenbaum
    »H ier muss es ein«, sagte Lirandil.
    »N a endlich!«, entfuhr es Borro, der sich den Schweiß von der Stirn wischte. »L irandils Worte geben ja Anlass zur Hoffnung– allerdings sehe ich hier nichts Besonderes. Ein Baum wie jeder andere, würde ich sagen.«
    »S ehen ist nur in zweiter Linie eine Sache der Augen«, meldete sich Brogandas mit seinem gewohnt spöttischen Unterton zu Wort. »M an muss es erlernen.«
    »W erter Brogandas, ich sprach davon, Dinge zu sehen, die auch wirklich vorhanden sind, und nicht davon, sich etwas einzubilden, das man sich nur herbeiwünscht«, erwiderte Borro trotzig.
    Arvan schlug mit dem Beschützer einige Stauden zur Seite. Das Pferd folgte ihm. Der Wald war so dicht, dass die letzten Meilen eine wahre Qual gewesen waren. Es hatte kaum ein Durchkommen durch das dichte Unterholz gegeben. Und auch wenn viele der Sträucher sich auf Arvans geistigen Befehl hin zur Seite bogen und ihm und seinen Gefährten so viel Platz einräumten, wie sie konnten, gab es auch einige giftige Dornengewächse, die sich dieser Beeinflussung verweigerten. Und gerade hier waren diese Arten sehr häufig vertreten. Fast so, als hätte sie hier jemand eigens angepflanzt, um zu verhindern, dass dieser Ort betreten wird, ging es Arvan durch den Kopf.
    Mitten im dichtesten Wald eröffnete sich eine Lichtung, die so groß war, wie Arvan es nie zuvor gesehen hatte. Zumindest nicht in den Wäldern am Langen See.
    Allein das Vorhandensein einer Lichtung war schon erstaunlich genug, denn es gab eigentlich keinen erkennbaren Grund dafür, dass dieser Ort nicht einfach innerhalb kurzer Zeit zugewuchert war.
    Die Lichtung war nur am Rande mit hohem Gras bewachsen. Gras, das zum Teil einem Halbling über den Kopf wuchs. Doch zur Mitte hin hörte dieser Grasbewuchs auf, so als wäre der Boden vergiftet und würde deswegen von jeglicher Vegetation gemieden.
    Das Allerseltsamste aber war, dass ein gewaltiger Schatten die Sonne fernhielt. Man hatte das Gefühl, dass es auf der Lichtung kaum heller war als unter dem dichten Blätterdach der Riesenbäume. Und das, obwohl es ein sonniger, nahezu wolkenloser Tag war, wie die wenigen Lücken im Blätterdach ihnen auf dem Weg hierher bewiesen hatten.
    Ein Schatten schien über der Lichtung zu hängen.
    Arvan fühlte sich sofort an die Schattenvögel erinnert, die Ghool aussandte. Ein dunkles Etwas

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