Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
aufstehen konnte, schaute er sich am Hofe um, wer sich während seiner Abwesenheit schlecht benommen hatte. Ich war so sehr darauf bedacht, dass sein Verdacht nicht auf die Königin und ihre albernen Freundinnen fiel, dass ich vergaß, auf die Hofdamen zu achten. Allerdings hätte Lady Margaret Douglas ohnehin nicht auf mich gehört, denn sie ist Vernunftgründen nicht zugänglich. Alle Tudors folgen ihrem Herzen und suchen hinterher nach Begründungen, und Lady Margaret ist genauso wie ihre Mutter, Königin Margaret von Schottland, die sich auch in einen Mann verliebte, der so gut wie nichts taugte. Nun hat ihre Tochter das Gleiche getan. Vor wenigen Jahren heiratete Lady Margaret heimlich meinen Verwandten Thomas Howard und hatte das Vergnügen, ihn ein paar Tage als Mann haben zu dürfen. Dann entdeckte der König das Paar und schickte den jungen Mann für seine Frechheit in den Tower. Binnen weniger Monate war er tot, und Lady Margaret war bei ihrem königlichen Bruder in Ungnade gefallen und vom Hofe verbannt. Natürlich war es so gekommen! Was soll daran überraschend sein? Des Königs Nichte kann nicht heiraten, wen sie will und dazu noch einen Howard! Es geht nicht, dass eine der mächtigsten Familien Englands, die dem Thron bereits gefährlich nahe ist, noch einen gewaltigen Sprung in diese Richtung macht, weil ein Mädchen von einem dunklen Blick und einem tollkühnen Lächeln bezaubert ist. Der König schwor, er werde Lady Margaret noch den Respekt beibringen, den ihre Position erfordert, und so war sie mehrere Monate lang eine Witwe mit gebrochenem Herzen.
Nun, es scheint ja wieder geheilt zu sein ...
Ich wusste, dass etwas vorging, und binnen weniger Wochen wusste es der ganze Hof. Als der König mit Fieber das Bett hütete, gab sich das junge Paar keine Mühe mehr, seine Liebelei zu verheimlichen. Jeder mit Augen im Kopf konnte sehen, dass des Königs Nichte furchtbar in Charles, den Bruder der Königin, verliebt war.
Wieder einmal ein Howard natürlich, und ein Günstling dazu: Mitglied im Kronrat und in der Familie hoch angesehen. Was glaubt er durch solch eine Verbindung zu gewinnen? Die Howards sind ehrgeizig, doch selbst ihm musste doch schon einmal der Gedanke gekommen sein, dass er sich übernehmen könnte. Meine Güte, hat er etwa geglaubt, er könne mit Hilfe dieses Mädchens Schottland gewinnen? Hatte er sich vielleicht schon als Prinzgemahl gesehen? Und sie? Warum ist sie so blind gegenüber jeder Gefahr? Und was haben diese Howards nur an sich, dass sie die Tudors so dermaßen anziehen? Man sollte glauben, es sei eine Art Alchemie, eine Anziehungskraft, wie sie der Honig auf Wespen hat.
Aber ich hätte Lady Margaret warnen sollen, dass die Entdeckung so gut wie sicher war. Wir leben in einem Glashaus, es ist, als hätten es die Glasbläser von Murano als besondere Qual für uns entworfen. An diesem Hof ist kein Geheimnis zu bewahren, hier gibt es keinen Vorhang, der etwas verdecken könnte, keine Wand, die nicht durchsichtig wäre. Alles wird stets aufgedeckt. Früher oder später wissen alle über alles Bescheid. Und sobald etwas aufgeflogen ist, zersplittert es in eine Million gefährlicher Scherben.
Ich suche meinen Gebieter, den Herzog, und treffe ihn an seiner abfahrbereiten Barke auf dem Landungssteg. »Kann ich Euch sprechen?«
»Probleme?«, fragt er. »Ich muss zusehen, dass ich mit der Flut fahre.«
»Es geht um Lady Margaret Douglas«, sage ich ohne Umschweife. »Sie ist in Charles Howard verliebt.«
»Ich weiß«, erwidert er. »Sind sie verheiratet?«
Ich sehe ihn entsetzt an. »Wenn es so weit kommen sollte, ist er ein toter Mann.«
Die Vorstellung, dass der Bruder der Königin, des Herzogs eigener Neffe, wegen Hochverrats hingerichtet würde, erschüttert ihn keineswegs. Aber diese Dinge sind ihm ja nicht neu. »Es sei denn, dass der König in Flitterwochenlaune geneigt ist, der jungen Liebe zu vergeben.«
»Das könnte sein«, gebe ich zu.
»Wenn Katherine es ihm sagen würde?«
»Er hat ihr bis jetzt noch nichts abgeschlagen; aber alles, um das sie bislang gebeten hat, waren Schmuckstücke und neue Bänder«, erwidere ich. »Soll sie fragen, ob eine weitere Verbindung zwischen ihren beiden Familien möglich ist? Wird er dann nicht sogleich Verdacht schöpfen?«
»Was für einen Verdacht?«, fragt der Herzog höflich.
Ich sehe mich um. Die Bootsleute sind außer Hörweite, und die Diener tragen sämtlich die Livree der Norfolks. Dennoch trete ich einen Schritt
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