Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
unerwartet von Thomas Culpepper, dem aalglatten Höfling, dass ich vor Überraschung nach Luft schnappe und den Fehler begehe, ihm die Wahrheit zu gestehen.
»Eigentlich ist es meine eigene Schuld. Ich wollte unbedingt Königin werden.«
»Bevor Ihr wusstet, was das bedeutet ...«
»Ja.«
Wir schweigen beide. Plötzlich wird mir bewusst, dass wir vor den Höflingen reden und dass alle uns anstarren. »Ich darf nicht so mit Euch reden«, sage ich beschämt. »Alle beobachten mich.«
»Ich möchte Euch auf jede mögliche Art dienen«, sagt er leise. »Und im Augenblick kann ich Euch den größten Dienst erweisen, indem ich Euch allein lasse. Ich möchte nicht, dass Ihr dem Gerede der Klatschmäuler ausgesetzt werdet.«
»Morgen um zehn werde ich mich im Garten ergehen«, wispere ich. »Dann könnt Ihr mich aufsuchen. In meinem Privatgarten.«
»Um zehn«, bestätigt er, verneigt sich und geht zu seinem Tisch zurück. Ich wende mich um und spreche mit Lady Margaret, als ob nichts Besonderes geschehen wäre.
Sie lächelt voller Verständnis. »Er ist ein gut aussehender junger Mann. Aber nichts im Vergleich zu Eurem Bruder Charles.«
Ich schaue durch die Halle zu Charles' Tisch. Ich habe ihn eigentlich nie besonders hübsch gefunden, kannte ihn aber auch nur flüchtig, ehe ich zum Hof kam. Er wurde schon als Junge fortgeschickt, damit ihm eine gute Erziehung zuteilwerde, und ich kam ins Haus meiner Stief-Großmutter. »Was für eine seltsame Bemerkung!«, sage ich. »Ihr werdet doch nicht etwa Charles mögen?«
»Meine Güte, nein!« Sie läuft scharlachrot an. »Jeder weiß doch, dass ich nicht einmal an einen Mann denken darf. Da könnt Ihr jeden fragen! Der König würde es nicht erlauben.«
»Ihr mögt ihn!« Ich bin entzückt. »Lady Margaret, Ihr habt ja Heimlichkeiten! Ihr seid in meinen Bruder verliebt.«
Sie verbirgt ihr Gesicht hinter den Händen und blinzelt zwischen den Fingern hindurch. »Verratet mich nicht«, bittet sie.
»Oh nein, natürlich nicht. Aber hat er Euch die Ehe versprochen?«
Schüchtern nickt sie. »Wir sind ja so verliebt! Werdet Ihr beim König ein gutes Wort für uns einlegen? Er ist ja so streng! Aber wir lieben einander so sehr.«
Ich schaue wieder zu meinem Bruder hin und muss lächeln. »Nun, ich finde es großartig«, sage ich freundlich. Es gefällt mir, huldvoll zu der Nichte des Königs zu sein. »Und wir können eine wunderschöne Hochzeit planen ...«
A NNA , R ICHMOND , O KTOBER 1540
Ich habe einen Brief von meinem Bruder bekommen, einen vollkommen wahnsinnigen Brief, der mich sowohl peinigt als auch mit Zorn erfüllt. Er belegt den König mit den schlimmsten Ausdrücken und befiehlt mir, entweder sofort nach Hause zu kommen oder auf meiner Ehe zu bestehen, andernfalls werde er die verwandtschaftlichen Bande kappen. Er gibt mir keinen Rat, wie ich es anstellen soll, auf meiner Ehe zu bestehen - es ist klar, dass er noch gar nichts von der Wiederverheiratung des Königs gehört hat -, bietet mir aber auch keine Hilfe für den Fall meiner Heimkehr an. Ich stelle mir vor, wie er sich bei dieser unmöglichen Wahl ausrechnete, dass ich es dann vorziehen würde, nicht mehr seine Schwester zu sein.
Das ist kein großer Verlust für mich! Als er mich in der Fremde ohne Nachricht ließ, als er mir einen Botschafter schickte, den er nicht bezahlte, als er vergaß, gültige Beweise für die Annullierung der Verlobung mit dem lothringischen Fürsten zu schicken - da war er mir kein guter Bruder. Und das ist er immer noch nicht. Denn jetzt kommen der Herzog von Norfolk und der halbe Kronrat schäumend vor Wut zu mir; natürlich haben sie den Brief meines Bruders abgefangen, abgeschrieben, übersetzt und gelesen, bevor ich ihn überhaupt zu Gesicht bekam. Und sie wollen wissen, ob ich glaube, dass mein Bruder um meinetwillen den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zum Krieg gegen England und Heinrich aufstacheln will?
So ruhig wie möglich erkläre ich ihnen, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wohl kaum auf Geheiß meines Bruders einen Krieg anfangen würde und (dies nun mit Nachdruck!) ich meinen Bruder niemals darum bäte, um meinetwillen einen Krieg anzufangen.
»Ich möchte den König warnen, dass ich auf meinen Bruder keinen Einfluss habe«, sage ich langsam und deutlich zum Herzog von Norfolk. »Wilhelm tut, was ihm beliebt. Er hört nicht auf meinen Rat.«
Der Herzog schaut zweifelnd drein. Ich wende mich an Richard Beard und spreche
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