Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Der König verkündet seine Meinung kurz und bündig und stolziert wieder von dannen. Katherine stürzt heraus, weiß wie ein Hemd, tränenüberströmt, und sagt, dass der König Verschwörungen und Intrigen und wollüstige Unkeuschheit am Hofe seiner Rose wittert und ihr die Schuld gibt.
»Was soll ich nur tun?«, ruft sie aus. »Er fauchte mich an, ob ich meine Damen nicht im Zaum halten könne? Woher sollte ich wissen, wie man das tut? Wie soll ich seine eigene Nichte im Zaum halten? Sie ist die Tochter der Königin von Schottland, von königlichem Geblüt und sechs Jahre älter als ich. Warum sollte sie auf mich hören? Was soll ich nur tun? Er sagt, er werde sie bestrafen, er sagt, die beiden würden seinen ganzen Unmut zu spüren bekommen. Was soll ich nur tun?«
»Nichts«, erwidere ich knapp. »Ihr könnt nichts tun, um sie zu retten.« Was wäre leichter zu verstehen als dies?
»Ich kann nicht zulassen, dass mein eigener Bruder in den Tower gesteckt wird!«
Das sagt sie gedankenlos zu mir, der Frau, die ihren eigenen Ehemann in den Tower gehen sah. »Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, sage ich trocken.
»Ach, die alten Geschichten!« Sie tut es mit einer Handbewegung ab, und zwanzig Diamanten funkeln im Licht und blenden die Geister von Anne und George aus, die in den Tower gingen, ohne dass ein Wort sie errettet hätte. »Die tun doch nichts mehr zu Sache! Was ist mit jetzt? Es geht um Lady Margaret, meine Freundin, und um Charles, meinen Bruder. Sie erwarten doch, dass ich sie rette!«
»Wenn Ihr sogar zugebt, dass Ihr von der Liebelei gewusst habt, dann könnt Ihr sie gleich in den Tower begleiten«, warne ich. »Er ist gegen diese Verbindung, deshalb solltet Ihr lieber so tun, als hättet ihr nichts davon gewusst. Warum könnt Ihr das nicht verstehen? Warum ist Lady Margaret so dumm gewesen? Des Königs Mündel darf seine Gunst nicht jedem schenken. Und des Königs Gemahlin darf nicht ihren Bruder mit einem Mitglied der königlichen Familie verkuppeln. Das wissen wir doch alle. Es war ein Hasardspiel, ein großes gewagtes Spiel, und es ist fehlgeschlagen. Lady Margaret muss ja verrückt sein, wegen so einer Verbindung ihr Leben aufs Spiel zu setzen! Und Ihr wäret verrückt, wenn Ihr es billigen würdet.«
»Aber wenn sie doch in ihn verliebt ist?«
»Ist Liebe wert, dafür zu sterben?«
Das bringt ihre dumme, romantische Ballade zum Schweigen. Sie erschauert leicht. »Nein, niemals. Natürlich nicht. Aber der König kann sie doch nicht enthaupten lassen, nur weil sie sich in einen Mann aus guter Familie verliebt hat und ihn heiraten will?«
»Oh doch! Er wird ihren Liebhaber enthaupten lassen«, sage ich brutal. »Ihr solltet also Eurem Bruder Lebewohl sagen und darauf achten, dass Ihr nie wieder mit ihm sprecht, es sei denn, Ihr wollt, dass der König glaubt, Ihr hättet Euch mit den Howards verschworen, um ihm den Thron zu rauben.«
Sie wird weiß wie ein Laken. »Mich würde er nie in den Tower schicken«, flüstert sie. »Immer redet Ihr von so etwas. Nie gebt Ihr Ruhe! Es ist nur einmal geschehen, bei einer Frau. Es wird nie wieder geschehen. Er betet mich an.«
»Er liebt auch seine Nichte, und dennoch wird er sie ins Exil nach Syon schicken, auch wenn ihr das Herz bricht. Und ihren Liebhaber schickt er in den Tower und in den Tod«, prophezeie ich. »Der König mag Euch anbeten, aber er hasst es, wenn andere tun, was sie wollen. Der König mag Euch lieben, aber er will, dass Ihr eine kleine Eiskönigin seid. Geschieht in Euren Gemächern irgendeine Unkeuschheit, dann gibt er Euch die Schuld und wird Euch bestrafen. Der König mag Euch lieben, aber er würde Euch lieber tot zu seinen Füßen sehen, als dass Ihr dabei helft, eine rivalisierende königliche Familie zu gründen. Denkt doch nur an die Poles, die lebenslänglich im Tower eingekerkert sind. Denkt nur an Margaret Pole, die dort seit Jahren sitzt, unschuldig wie eine Heilige und dennoch lebenslänglich eingesperrt. Möchtet Ihr, dass den Howards das Gleiche widerfährt?«
»Das ist ein Albtraum!«, platzt sie heraus. Das arme kleine Ding, bleich vor Angst im Schein ihrer kostbaren Diamanten. »Es geht hier um meinen Bruder. Ich bin die Königin. Ich sollte ihn doch retten können! Er hat doch nichts weiter getan, als sich zu verlieben. Ich werde es meinem Onkel sagen. Er wird Charles retten!«
»Euer Onkel weilt nicht bei Hofe«, sage ich trocken. »Er musste ganz plötzlich nach Kenninghall. Ihr könnt ihn nicht mehr
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