Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
habe.
Bei mir wäre eine Witwenschaft natürlich etwas ganz anderes. Niemand könnte von mir große Trauer erwarten. Da mein Ehemann so viel älter ist als ich, ist es nur natürlich, dass er bald sterben wird, und dann werde ich frei sein, mein eigenes Leben zu leben. Natürlich darf ich niemals so unhöflich sein, dies zu erwähnen. Eines der Dinge, die ich bei Hofe ganz schnell gelernt habe, ist, dass der König niemals ein wahrheitsgemäßes Bild von sich selbst will, obwohl er bei anderen - wie bei der armen Königin Anna - auf getreuliche Porträts so viel Wert legt. Er will nie daran erinnert werden, dass er alt ist, und man darf ihm niemals sagen, dass er müde aussieht oder dass sein Hinken schlimmer geworden ist oder dass seine Wunde übel stinkt. Eine meiner Aufgaben als Ehefrau ist, so zu tun, als sei er in meinem Alter. Er tanzt bloß deshalb nicht mit mir, weil er lieber sitzen bleibt und zuschaut - an seinem Bein kann es ja nicht liegen! Niemals sage oder tue ich etwas, das auf sein Alter hinweist, niemals erfährt er, wie sehr mir bewusst ist, dass er mein Vater sein könnte - und ein dicker, verstopfter alter Vater dazu.
Ich kann nichts dafür, wenn seine Tochter älter ist als ich, strenger als ich und gebildeter als ich. Sie ist zu den Weihnachtsfeiern angereist wie ein alter Geist, der alle an ihre Mutter erinnert. Ich beklage mich nicht über sie, das ist auch gar nicht nötig. Ihre bloße Präsenz - so ernst, so erwachsen, so mütterlich im Vergleich zu mir - reicht, um ihn zu irritieren. Und er lässt seine Wut an ihr aus, zum Glück. Ich muss gar nichts dazu tun. Sie gibt ihm das Gefühl, alt zu sein, und ich gebe ihm das Gefühl, jung zu sein. Also kann er sie nicht leiden und betet mich an.
Und obwohl es eine Gewissheit ist, dass er bald sterben wird: Er wird mir doch sehr leidtun, wenn es so weit ist, sagen wir: nächstes Jahr. Aber dann wäre ich Regentin und könnte für meinen Stiefsohn Prinz Eduard sorgen. Das wäre doch sehr nett, denke ich. Regentin zu sein, wäre das Beste auf der Welt. Denn dann hätte ich alle Vorteile und Reichtümer einer Königin, aber keinen alten König am Bein. Im Gegenteil: Jeder müsste sich vor mir in Acht nehmen - und der größte Witz wäre doch, wenn ich in fünfzig Jahren darauf bestehen würde, dass alle so tun müssen, als wäre ich nicht alt und müde, sondern jeden Morgen noch so hübsch, wie ich es heute bin.
Den Gedanken, dass er sterben wird, lasse ich nie laut werden, ich lasse ihn nicht einmal in meinen Gebeten zu, denn erstaunlicherweise ist es bereits Verrat, darauf hinzudeuten, dass der König eines Tages sterben könnte. Ist das nicht lächerlich? Man stelle sich vor: Die bloße Erwähnung einer so offensichtlichen Tatsache ist ungesetzlich! Wie dem auch sei, ich hüte mich vor Verrat, und deshalb wünsche ich mir seinen Tod nicht und bete auch nicht darum. Aber manchmal, wenn ich mit Thomas Culpepper tanze und seine Hand an meiner Taille liegt und ich seinen warmen Atem auf meinem Hals spüre, dann denke ich schon daran: Wenn der König stürbe, dann könnte ich einen jungen Ehemann bekommen. Ich würde wieder die Berührung eines jungen Mannes spüren, frischen Schweiß im Bett riechen, einen harten, schlanken Körper genießen und den aufregenden Kuss eines sauberen Mundes.
Manchmal, wenn Thomas mich in einer Drehung des Tanzes auffängt und ich seine Hand auf meiner Taille spüre, dann sehne ich mich nach seiner Berührung. Doch immer, wenn es so weit gediehen ist, flüstere ich ihm zu, dass ich müde bin, wende mich ab und achte nicht auf den verstärkten Druck seiner Hand. Ich gehe zu unserem Thron und setze mich neben den König. Lady Margaret ist im Kloster Syon eingesperrt, weil sie einen Mann liebte. Es hat also keinen Sinn zu träumen. Auch wenn es furchtbar traurig ist.
J ANE B OLEYN , H AMPTON C OURT , W EIHNACHTEN 1540
Dies soll Katherines Fest werden, das fröhlichste Weihnachten, das sie je erlebt hat. Ihr Haushalt hat sich gebildet, die edelsten Damen des Landes dienen ihr. Sie besitzt eigene Ländereien, sie hat Tausende von Lehensmännern, sie besitzt Edelsteine, die einen Mauren neidisch machen würden, und nun bekommt sie das schönste Weihnachtsfest ihres Lebens, und wir sind beauftragt, es auszurichten.
Der König ist ausgeruht und von neuem Lebensmut beseelt. Er freut sich auf ein glänzendes Fest, auf dem er sich als glühender junger Liebhaber einer blutjungen, hübschen Frau präsentieren will.
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