Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Bescheid wussten, sind ebenfalls zum Verhör in den Tower gebracht worden. Lady Jane Rochford ist in den Tower gebracht worden, doch ich weiß nicht, unter welcher Anklage. Seine Gnaden, der König, ist in nachdenklicher Stimmung nach Hampton Court zurückgekehrt. Es heißt, er sei sehr betrübt, aber nicht zornig. Dafür müssen wir Gott danken. Er wird seine Ehe mit Katherine wegen ihres abscheulichen Verhaltens annullieren - genau diese Worte hat er vor dem Parlament gebraucht. Hoffentlich sind auch die Lords der Meinung, dass sie nicht zur Königin taugt. Dann kann das arme Kind entlassen werden, und ihre Freunde dürfen heimkehren.
Sie könnte nach Frankreich gehen; sie wäre eine Zierde für den französischen Königshof, dort wüsste man ihre Eitelkeit und ihr hübsches Gesicht zu würdigen. Oder sie könnte sich aufs Land zurückziehen wie ich und sich auch Schwester des Königs nennen. Sie könnte sogar in meinem Hause leben, und wir könnten Freundinnen sein wie früher, als ich die Königin war, die er nicht wollte, und sie die Ehrenjungfer, die er zur Frau begehrte. Sie könnte an tausend Orte geschickt werden, wo sie dem König nicht schaden würde, wo die Menschen vielleicht sogar ihr närrisches Wesen niedlich fänden, kurz, sie könnte die Chance bekommen, doch noch zu einer vernünftigen Frau heranzureifen. Sicherlich besteht die einhellige Meinung, dass sie nicht hingerichtet werden kann. Sie ist viel zu jung dazu. Sie ist keine Anne Boleyn, die sechs mühevolle Jahre lang ihren Weg zum Thron plante und bahnte, nur um dann von ihrem eigenen Ehrgeiz besiegt zu werden. Nein, Kitty ist ein Mädchen, das nicht mehr Urteilsvermögen besitzt als ein Kätzchen. Niemand wird so grausam sein, dieses Kind aufs Schafott zu schicken. Gott sei Dank ist der König traurig und nicht wütend. Hoffentlich rät ihm das Parlament, dass die Ehe annulliert werden kann, und hoffentlich gibt sich Erzbischof Cranmer mit den Kindheitsamouren der Königin zufrieden und forscht nicht nach Fehltritten, die sie während ihrer Ehe beging.
Ich weiß nicht, was sich zurzeit am Hofe abspielt, aber als ich Katherine über Weihnachten und Neujahr sah, hatte ich den Eindruck, dass sie für einen Liebhaber bereit war, dass sie sich nach Liebe sehnte. Und das ist nur zu verständlich. Sie ist ein junges Mädchen, das zur Frau heranreift, und an einen Ehemann gefesselt, der alt genug ist, ihr Vater zu sein, ein kranker, impotenter, vielleicht wahnsinniger Mann. Selbst eine vernünftige junge Frau würde unter diesen Umständen Trost suchen und sich einem der jungen Männer ihrer Umgebung zuwenden. Und Katherine ist alles andere als vernünftig.
Dr. Harst kommt zu Pferde aus London. Er schickt meine Damen fort, damit wir ungestört sprechen können. Daran ersehe ich, dass bei Hofe etwas Ernstes geschehen ist.
»Was gibt es Neues von der Königin?«, frage ich, sobald wir allein sind und wie Verschwörer am Kamin beieinandersitzen.
»Sie wird noch verhört«, antwortet er. »Falls es noch mehr zu berichten gibt, werden sie auch das aus ihr herausholen. Sie steht in Syon unter scharfer Bewachung und darf niemanden empfangen. Es ist ihr nicht einmal erlaubt, im Garten spazieren zu gehen. Ihr Onkel hat jede Verbindung zu ihr abgebrochen, sie hat keine Freunde mehr bei Hofe. Vier ihrer Hofdamen sind ebenfalls in Syon eingesperrt und würden sie verlassen, wenn sie könnten. Ihre engsten Freundinnen sind verhaftet worden und werden im Tower verhört. Es heißt, sie weine die ganze Zeit und flehe um Vergebung. Sie kann weder essen noch schlafen. Es heißt, sie werde sich noch zu Tode hungern.«
»Gott helfe der armen kleinen Kitty«, sage ich. »Gott helfe ihr. Aber es muss doch Beweise geben, sonst könnte die Ehe nicht aufgelöst werden. Hat der König genug zusammen, um sich von ihr scheiden und sie gehen zu lassen?«
»Nein, sie suchen nach Beweisen für eine schlimmere Anklage«, erwidert mein Botschafter.
Wir schweigen eine Weile. Wir wissen, was damit gemeint ist, und fürchten, dass sie fündig werden.
»Ich bin jedoch gekommen, um Euch von einer sehr ernsten Angelegenheit Mitteilung zu machen«, hebt Dr. Harst von Neuem an.
»Meine Güte, was wäre denn noch ernster?«
»Soviel ich gehört habe, denkt der König daran, Euch wieder zur Frau zu nehmen.«
Einen Augenblick lang bin ich fassungslos. Ich bringe kein Wort heraus. Ich umklammere die geschnitzten Lehnen meines Stuhles und schaue zu, wie meine Fingerspitzen weiß
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