Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
vorspielen muss. Wenn dieser Arzt wüsste, wann ein Mensch wahnsinnig ist, dann hätte er den König schon vor sechs Jahren weggesperrt, bevor dieser meinen Ehemann ermorden ließ. Ich knickse vor dem guten Doktor, und ich tanze um ihn herum, und ich lache, wenn er mich ausfragen will, sich nach meinem Namen und meiner Familie erkundigt. Ich bin absolut überzeugend, das sehe ich an seinem mitleidigen Blick. Zweifellos wird er dem König berichten, dass ich nicht bei Sinnen bin, und sie werden mich freilassen müssen.
    Hört nur! Hört! Jetzt kommt es! Der Lärm von Sägen und Hämmern. Ich spähe aus dem Fenster und klatsche in die Hände, als schaute ich zu gern den Handwerkern zu, die dort unten das Schafott bauen: Katherines Schafott. Sie werden sie unter meinem Fenster enthaupten. Wenn ich es wage, kann ich dabei zuschauen, ich werde den besten Blick haben. Wenn sie tot ist, werden sie mich fortschicken, vielleicht zu meiner Familie auf Blickling Hall, und dort kann ich in aller Stille wieder zur Vernunft kommen. Ich werde mir dabei Zeit lassen, ich will nicht, dass es jemandem auffällt. Ich werde vielleicht noch ein oder zwei Jahre umhertanzen, Liedchen trällern und mit den Wolken reden, und wenn diese Zeit vorbei ist und der neue König, König Eduard, auf dem Thron sitzt und die alten Fehden vergessen sind, dann werde ich an den Hof zurückkehren und der neuen Königin so gut wie möglich dienen.
    Oh! Gerade ist eine Holzplanke heruntergefallen, und ein junger Mann bekommt eine Ohrfeige, weil er nicht aufgepasst hat. Ich werde ein Kissen aufs Fenstersims legen und den ganzen Tag zuschauen; es ist so spannend wie ein Maskenspiel bei Hofe, wie sie dort messen und sägen und bauen. Was für ein Aufwand ist doch die Errichtung dieser Bühne für ein Schauspiel, das nur wenige Minuten dauert! Als sie mir das Abendessen bringen, klatsche ich in die Hände und zeige eifrig nach unten, und die Wärter schütteln die Köpfe und stellen die Speisen hin und gehen leise wieder hinaus.

 
 
K ATHERINE , S YON , F EBRUAR 1542
 
    Es ist ein Morgen wie jeder andere, ruhig, langweilig, ohne Unterhaltung oder Gesellschaft. Alles ist so öde, dass ich beim Getrappel von Füßen auf dem Weg vor meinem Fenster hochfahre und mich freue, dass nun endlich etwas passiert - es ist mir fast ganz gleich, was. Wie ein Kind eile ich zu dem hohen Fenster und schaue hinaus, und da kommt die königliche Eskorte vom Fluss durch den Garten heran. Sie sind mit einer Barke gekommen, und da ist auch die Standarte meines Onkels, des Herzogs, und da sind Männer in seiner Livree, und da ist er selbst, feierlich und schlecht gelaunt wie immer. Er geht an der Spitze der Schar, begleitet von einem halben Dutzend Herren des Kronrates.
    Endlich! Endlich! Ich bin so erleichtert, dass ich in Tränen ausbrechen könnte. Endlich kommt mein Onkel zu mir! Mein Onkel kommt, um mir zu sagen, was ich tun soll. Wenigstens werde ich aus diesem Haus befreit. Ich könnte mir vorstellen, dass ich auf einen seiner Landsitze gebracht werde, was natürlich ähnlich öde ist: Aber alles ist mir lieber, als hier zu sein. Oder vielleicht muss ich weiter fort, vielleicht bringen sie mich nach Frankreich. Frankreich wäre einfach wunderbar, nur leider spreche ich kein Französisch, oder jedenfalls nur »Voilà!«, aber sicher können doch alle Englisch sprechen? Und wenn sie es nicht tun, können sie es doch lernen?
    Die Tür öffnet sich einen Spalt breit, und ich sehe den Aufseher meines Haushalts. Seine Augen stehen voller Tränen. »Madam«, sagt er. »Nun kommen sie Euch holen.«
    »Ich weiß!«, rufe ich überglücklich. »Und Ihr müsst auch gar nicht meine Kleider einpacken, denn ich werde sie ohnehin nicht mehr brauchen, ich bestelle mir neue. Wohin sie mich wohl bringen?«
    Die Tür geht noch weiter auf, und da ist mein Onkel, er macht ein strenges Gesicht, aber das muss er wohl, es ist offensichtlich ein sehr feierlicher Anlass.
    »Euer Gnaden!«, sage ich. Fast hätte ich ihm zugezwinkert. Wir haben es also geschafft, nicht wahr? Wieder einmal. Er, indem er streng ausschaut, und ich, indem ich auf seine Befehle warte. Er wird schon irgendeinen Plan ersonnen haben, wie er mich binnen eines Monats wieder auf den Thron bringt und wie ich vom König Vergebung erlangen kann. Ich glaubte schon, ernsthaft in Gefahr zu sein, ich glaubte, dass er mich im Stich gelassen hätte ... Aber nun ist er doch gekommen, und wo er ist, da sind Wohlstand und gutes Leben.

Weitere Kostenlose Bücher