Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
sie angewiesen, nur dem König und ihrem Onkel zu gehorchen und sich nur von meinen Ratschlägen und ihrem eigenen reinen Gewissen leiten zu lassen. Dies habe ich ihr geraten, weil Ihr Euch am Ende nicht als Freundin meiner Schwester oder meines Bruders erwiesen habt. Deshalb soll sie Euch mit dem Respekt behandeln, den Ihr verdient. Mary Stafford
Ich zittere, nachdem ich diesen Brief gelesen habe, und lese ihn erneut, als könnte er beim zweiten Lesen etwas anderes enthalten. Der Respekt, den ich verdiene? Ich log und täuschte doch nur bis zum letzten Augenblick, um die beiden zu retten! Ich gab mir Mühe, die Familie vor der Katastrophe zu retten, welche die beiden herbeigeführt hatten! Wie viel mehr hätte ich tun können? Was hätte ich anders machen sollen? Ich gehorchte meinem Onkel, dem Herzog, wie es meine Pflicht war. Ich tat, was er mich hieß, und meine gerechte Strafe dafür ist, dass ich seine treue Verwandte bin und als solche respektiert werde.
Wie kann sie sich erdreisten, mich eine Frau zu nennen, die das eitle Hofleben der Liebe meines Mannes vorzog? Ich habe meinen Mann geliebt, mit jedem Zoll meiner Seele, und auch ich hätte ihm alles bedeutet, wären da nicht Mary und ihre Schwester gewesen, die ein Netz um ihn knüpften, das er nicht zu zerreißen vermochte und ich ebenfalls nicht. Hätte die Schande seiner Schwester ihn nicht mitgerissen, dann wäre er heute noch am Leben. Wäre er nicht des Inzests mit seiner Schwester bezichtigt und wie sie enthauptet worden, dann wäre er heute noch mein Ehemann und der Vater unseres Sohnes. Was hat denn Mary zu seiner Rettung getan? Was hat sie jemals getan, außer für sich selbst das Beste herauszuschinden?
Ich könnte schreien vor Wut und Verzweiflung, weil Mary diese Gedanken in meinem Kopf wieder aufgewirbelt hat. Dass sie meine Liebe zu George in Zweifel zieht, dass sie es wagt, mir Vorwürfe zu machen! Die Boshaftigkeit ihres Briefes macht mich sprachlos. »Was hätte ich denn tun sollen?«, möchte ich ihr ins Gesicht schreien. »Du warst doch auch dabei und hast nichts für George und Anne getan. Was hätte einer von uns tun können?«
Aber so waren sie stets, diese Schwestern: gaben mir zu verstehen, dass sie alles besser begriffen. Seit meiner Heirat mit George ließen sie mich merken, dass sie besser waren als ich. Zuerst war die eine die Mätresse des Königs gewesen, dann die andere. Und schließlich wurde eine des Königs Gemahlin und Königin von England. Sie waren zu Großem geboren! Die Boleyn-Schwestern! Und ich war nur die ewige Schwägerin. Nun, so sei es. Ich habe nicht meine heutige Stellung errungen, habe nicht Zeugnis abgelegt und Eide geschworen, um mich von so einer Frau beschimpfen zu lassen - einer, die beim ersten Anzeichen von Gefahr flüchtete und sich gut verheiratete, um sich auf dem Lande zu verstecken und protestantische Gebete zu sprechen, bis die Zeiten wieder besser würden.
Nun steht ihre Tochter Catherine vor mir und schaut mich neugierig an. »Hat sie dir den Brief gezeigt?«, frage ich mit zitternder Stimme. Auch Lady Browne schaut mich gespannt an.
»Nein«, antwortet Catherine.
Ich werfe den Brief ins Feuer, als enthielte er Beweise gegen mich. Wir schauen zu, wie er zu grauer Asche verbrennt. »Ich werde ihr später antworten«, sage ich. »So wichtig war es nicht. Jetzt gehe ich nachschauen, ob sie dein Zimmer vorbereitet haben.«
Es ist eine Ausrede, um fortzukommen, fort von den beiden und der grauen Asche des Briefes im Kamin. Ich eile hinaus und rufe nach den Mägden und schelte sie wegen ihrer Säumigkeit, dann schleiche ich in mein eigenes Zimmer und lege meine heiße Stirn an das kühle Fenster. Ich werde diese Beleidigung und Feindseligkeit ignorieren, schwöre ich mir. Ich lebe am Königshof. Ich diene meinem König und meiner Familie. Mit der Zeit werden sie mich noch als die Beste der Familie anerkennen, als eine Boleyn, die dem König und seiner Familie bis zum Ende diente, ohne zu wanken und zu weichen - auch wenn ich die Letzte der Boleyns bin.
K ATHERINE , R OCHESTER , N EUJAHR 1539
Mal überlegen: Was habe ich? Was habe ich alles, nun, da ich sozusagen eine erwachsene Dame bei Hofe bin?
Ich besitze drei neue Kleider, und das ist schon ganz gut, aber kaum genug für ein junges Mädchen, auf dem bald aller Augen ruhen werden. Ich besitze drei neue passende Hauben, die sehr hübsch sind, aber nur einen Besatz von goldener Spitze haben, und ich habe bemerkt, dass viele
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