Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
meinen Bruder verständigen, denn sie steht in seinem Sold. Aber meine Ehe ist nicht echt, sie besteht nur in Worten, nicht in Taten. Und wenn diese Ehe nicht echt ist, dann habe ich in meiner Pflicht am König, am Volk von England und an mir selbst versagt. Ich muss danach streben, diese Ehe zu einer echten zu machen. Und wenn dieser Mann mir sagen kann, wie, dann ist er mir zur Antwort verpflichtet.
»Das sind ... Privatangelegenheiten«, stammelt Cromwell mit der Hand vor dem Mund, als wollte er die Worte nicht herauslassen. Nun zieht er an seiner Unterlippe.
»Nein. Es ist König«, sage ich. »Es ist England. Das ist Pflicht, nicht privat.«
»Ihr solltet Euch Rat bei Euren Frauen holen, bei Eurer Ersten Hofdame.«
»Ihr habt Ehe gestiftet«, sage ich, suche nach Worten. »Helft mir, sie richtig zu machen.«
»Ich bin nicht dafür verantwortlich ...«
»Seid mein Freund.«
Suchend schaut er sich um. Er würde am liebsten fliehen, aber ich gebe nicht nach.
»Ihr seid doch noch nicht lange verheiratet.«
Ich schüttele nur den Kopf. »Fünfzig Tage und zwei.« Wer hätte die Tage wohl sorgfältiger gezählt als ich?
»Hat er der Abneigung gegen Euch Ausdruck gegeben?«, fragt der Lordkanzler urplötzlich. Sein Englisch ist jedoch zu schnell, und ich verstehe nichts.
»Ausdruck?«
Er seufzt leise ob meiner Begriffsstutzigkeit und schaut sich suchend um, als wollte er einen meiner Landsleute zur Übersetzung herbeizitieren. Dann besinnt er sich wieder, weil ihm eingefallen ist, dass dies ganz unter uns bleiben muss.
»Was stimmt nicht mit Euch?«, fragt er sehr schlicht und sehr leise mit dem Mund an meinem Ohr.
Mir wird klar, wie erschrocken ich aussehen muss, und ich wende mich rasch zum Fenster, bevor die Höflinge mein Gesicht sehen können.
»Es meine Schuld?«, frage ich entsetzt. »Er sagt, es meine Schuld?«
Des Lordkanzlers kleine, dunkle Augen blicken gequält. Sein Schamgefühl verbietet ihm die Antwort, und nun begreife ich: Es liegt nicht daran, dass der König zu alt oder zu krank ist. Es liegt daran, dass er mich nicht mag, mich nicht begehrt, dass ich ihn vielleicht sogar anwidere. Und aus Thomas Cromwells besorgter Miene schließe ich, dass der König seinen Ekel vor mir diesem widerlichen kleinen Mann bereits mitgeteilt hat.
»Er sagt Euch, er hasst mich?«, platze ich heraus.
Seine gequälte Miene verrät mir, dass es so ist. Der König hat diesem Mann erzählt, dass er sich nicht dazu zwingen kann, mein Liebhaber zu sein. Vielleicht hat er es auch anderen, vielleicht gar allen seinen Freunden erzählt. Vielleicht lacht der gesamte Hof schon seit Wochen hinter vorgehaltener Hand über dieses hässliche Mädchen aus Kleve, das nach England kam, um den König zu heiraten - und ihm nun nur noch zum Ekel ist.
Die Demütigung macht mich schaudern. Ich wende mich von Cromwell ab, um nicht sehen zu müssen, wie rasch er sich verneigt und den Rückzug antritt - so rasch, wie man trachtet, von einem Menschen mit ansteckendem Unglück fortzukommen.
Den restlichen Abend verbringe ich in einem Nebel von Trübsal. Ich finde keine Worte für meine Schande. Wenn ich am Hofe meines Bruders in Kleve nicht eine so harte Lehrzeit durchgemacht hätte, würde ich mich jetzt auf mein Bett werfen und in den Schlaf weinen. Aber ich habe schon vor langer Zeit gelernt, stur und stark zu sein, und ich habe schon einmal die gefährliche Missbilligung eines Herrschers ertragen und dennoch überlebt.
Ich halte mich streng im Zaum, ich lasse mich nicht gehen, ich behalte mein freundliches Lächeln. Als es Zeit ist, sich zurückzuziehen, knickse ich vor dem König, meinem Gemahl, ohne auch nur für einen Moment meine Angst zu verraten, dass er mich widerlich findet - so widerlich, dass er nicht einmal das mit mir tun kann, was sogar die Tiere auf der Weide tun.
»Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Euer Gnaden«, sage ich.
»Gute Nacht, Liebste«, sagt er mit ungezwungener Zärtlichkeit. Einen Augenblick lang möchte ich mich an ihn schmiegen als meinen einzigen Freund bei Hofe und ihm von meinen Ängsten und meinem Unglück erzählen. Aber er schaut an mir vorbei, und sein Blick ruht auf meinen Damen. Katherine Howard tritt vor und macht einen Knicks, und dann schicke ich die meisten aus dem Zimmer.
Ich schweige, während die Zofen mir die goldene Kette, die Armbänder, die Ringe, das Haarnetz, die Haube, die Ärmel, das Mieder, die beiden Röcke, das Polster, die Unterröcke und das Unterhemd ausziehen.
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