Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
aber ich habe ja keine Zeit mehr für junge Männer, ich habe mir doch geschworen, mit Beginn der Fastenzeit ein Leben der Entsagung zu beginnen. Ich sehe auch, dass Tom Culpepper meinen Blick auffangen will, aber ich schaue extra nicht zu ihm hin. Ich werde ihm nicht so leicht vergeben, dass er mir erst ein Treffen versprach und mich dann versetzte. Ich werde noch als alte Jungfer sterben, und das ist dann ganz allein seine Schuld!
Warum der König so wütend ist und was sie getan hat, erfahre ich erst nach dem Dinner, als ich zum königlichen Tisch gehe, um ihr ein Taschentuch zu geben, das sie selbst als Geschenk für den König bestickt hat. Die Stickerei ist neueste Mode und sehr elegant. Nähen kann sie wirklich. Wenn ein Mann eine Frau wegen ihrer Geschicklichkeit mit der Nadel lieben könnte, dann müsste sie seine Favoritin sein. Aber es kommt gar nicht dazu, dass sie ihm das Taschentuch schenkt, denn als ich an den Tisch trete, wendet er sich plötzlich ihr zu und sagt: »Ostern werden wir vergnügt bei Hofe feiern.«
Ein »Ja« als Antwort hätte gereicht, und alles wäre friedlich gewesen. Aber stattdessen sagt sie: »Ich bin froh. Und ich wünsche, dass Lady Elisabeth und Prinzessin Maria an Hof kommen.«
Offenbar sagt sie das nicht zum ersten Mal, denn er wird sehr zornig, und ich sehe, wie sie ihre Hände auf der Tischplatte verkrampft. »Nicht Lady Elisabeth«, herrscht er sie an. »Ihr solltet nicht um ihre Gesellschaft bitten, noch sollte sie die Eure wünschen.«
Das ist wieder einmal zu schnell für sie, und ich sehe, wie sie fragend die Stirn runzelt, aber sie versteht schon ganz gut, dass er ihr den Wunsch abschlägt.
»Lady Elisabeth«, sagt sie nun leise. »Sie meine Stieftochter.«
Ich bekomme kaum Luft, so erschüttert bin ich, weil sie es wagt, ihm zu widersprechen. Man stelle sich nur vor: Er faucht sie an, aber sie weicht keinen Zollbreit von der Stelle!
»Ich kann mir keinen Grund denken, warum Ihr eine verbissene Papistin am Hof sehen wolltet«, sagt er eisig. »Sie ist wahrlich keine Freundin Eures Glaubens.«
Die Königin versteht seinen Ton ganz gut, wenn ihr auch die genaue Bedeutung der Worte entgeht.
»Ich ihre Stiefmutter bin«, sagt sie schlicht. »Ich lenke sie.«
Er gibt ein kurzes, bellendes Lachen von sich, und ich vergehe fast vor Angst, während sie ihn ruhig ansieht. »Sie ist fast so alt wie Ihr«, sagt er unfreundlich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie von Euch bemuttert werden will! Sie wurde von einer der edelsten Prinzessinnen der Christenheit erzogen, und als ich die beiden verließ, boten sie mir die Stirn, statt beieinander Schutz zu suchen. Glaubt Ihr etwa, sie brauchte ein Mädchen ihres Alters, das sich um sie kümmert? Wo doch sie und ihre Mutter sich nur durch den Tod voneinander trennen ließen? Glaubt Ihr etwa, sie will jetzt wieder eine Mutter, und dazu eine, die noch nicht einmal Englisch spricht? Sie kann mit Euch in Latein oder Griechisch oder Spanisch oder Französisch oder Englisch konversieren, aber nicht in Deutsch. Und was habt Ihr zu bieten? Ach ja, nur Hochdeutsch.«
Ich weiß, ich sollte etwas sagen, um ihn abzulenken, aber er ist so gehässig und böse, dass er mir Angst macht. Meine Lippen sind wie versiegelt, ich stehe da wie ein Narr und frage mich, woher sie den Mut nimmt, bei seinen Anwürfen nicht ohnmächtig auf ihrem Stuhl zusammenzusinken.
Sie ist rot angelaufen vor Scham, vom Ausschnitt ihres Kleides bis zu ihrer schweren Haube. Ich sehe die Röte unter ihrem Musselinhemd und unter ihrer Goldkette und ihrer Halskrause. Es ist schmerzlich zu sehen, wie beschämt sie ist, und ich erwarte jeden Moment, dass sie in Tränen ausbricht und die Halle verlässt. Doch das tut sie nicht.
»Ich lerne Englisch«, sagt sie mit ruhiger Würde. »Immerzu. Und ihre Stiefmutter ich bin.«
Er steht so rasch vom Tisch auf, dass sein schwerer, goldener Stuhl über den Boden schrammt und fast kippt. Er stützt sich schwer auf die Tischplatte. Sein Gesicht ist ebenfalls rot, und an seiner Schläfe pocht eine Ader. Ich bin halb tot vor Angst bei seinem Anblick, sie jedoch sitzt immer noch still da, die Hände auf dem Tisch ineinander verschlungen. Sie ist wie ein kleiner Holzklotz, starr vor Angst, aber regungslos, sie bricht nicht zusammen. Er funkelt sie an, als wollte er sie durch einen Blick zum Schweigen bringen, doch sie sagt: »Ich werde Pflicht tun. An Euer Kinder und Euch. Vergebt mir, wenn ich erzürne.«
»Ladet sie ein«,
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