Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Ich schweige, als sie mir das Nachthemd überstreifen, und ich sitze still vor dem Spiegel, während sie mir das Haar bürsten und flechten und mir die Nachthaube aufsetzen. Ich sage immer noch nichts, während Lady Rochford wartet und mich freundlich fragt, ob ich noch etwas brauche, ob sie mir noch einen Dienst erweisen könne, ob ich noch etwas auf dem Herzen habe.
Mein Geistlicher kommt herein, und meine Damen und ich knien zum Nachtgebet nieder, und meine Gedanken hämmern im Rhythmus zu den vertrauten Worten: Ja, ich widere meinen Mann an, und zwar seit dem ersten Tag unserer Ehe.
Seine Abneigung gegen mich entsprang jenem Moment in Rochester, als ich ihn demütigte, darauf könnte ich schwören. Und er kann die Erinnerung daran nur ertragen, wenn er wie ein gekränktes Kind sagt: »Ich mag sie auch nicht.« Er hält die Erinnerung lebendig, wie ich ihn zurückstieß und mich weigerte, seinen Kuss zu erwidern, und nun stößt er mich zurück und verweigert mir den Kuss. Er stellt das Gleichgewicht wieder her, indem er mich als diejenige hinstellt, die nicht begehrenswert ist. Ein König von England, und ganz besonders dieser König, erträgt es nicht, unerwünscht zu sein, er mag nicht in diesen Spiegel blicken.
Der Geistliche beendet das Gebet, und ich erhebe mich. Mit gesenkten Köpfen verlassen meine Ehrenjungfern das Schlafgemach, süße, unschuldige Engel in ihren Nachthauben. Ich lasse sie gehen. Ich bitte keine, bei mir zu wachen, obwohl ich weiß, dass ich in dieser Nacht keinen Schlaf finden werde. Ich bin zu einem Stein des Anstoßes geworden, genau wie in Kleve. Ich bin meinem eigenen Gemahl verhasst, und ich weiß nicht, wie wir uns versöhnen und ein Kind zeugen sollen, wenn er es nicht ertragen kann, mich zu berühren. Meine Stellung hier ist prekär geworden.
Ich weine nicht ob der Kränkung meiner Schönheit, denn ich habe jetzt viel größere Sorgen. Wenn ich dem König von England verhasst bin, diesem Mann mit absoluter Macht und ohne jede Geduld - was mag er mir antun? Die erste Ehefrau hat er durch grausame Missachtung umgebracht, die zweite, angebetete, hat er mit einem französischen Schwert enthaupten lassen, und die dritte, die ihm einen Sohn schenkte, hat er unter nachlässiger Pflege verkümmern lassen. Was könnte er mir antun?
J ANE B OLEYN , H AMPTON C OURT , M ÄRZ 1540
Mit Sicherheit ist sie nicht glücklich, aber sie ist eine diskrete junge Frau, viel klüger, als ihr Alter vermuten lässt, und sie lässt sich nicht zu Vertraulichkeiten hinreißen. Ich bin so nett und mitfühlend wie möglich, aber ich will nicht, dass sie glaubt, ich fragte sie aus. Ich will nicht, dass sie sich noch schlechter fühlt. Denn gewiss fühlt sie sich sehr allein und fremd in einem Lande, dessen Sprache sie eben erst erlernt. Und ein Ehemann, der sie am liebsten meidet und seine Aufmerksamkeit so deutlich einer anderen schenkt, verbessert ihre Lage auch nicht.
Und dann kommt sie eines Morgens nach dem Gottesdienst zu mir, während die Mädchen sich vor dem Frühstück hübsch machen. »Lady Rochford, wann kommen Prinzessinnen an den Hof?«
Ich zögere mit der Antwort. »Maria gebührt der Titel ›Prinzessin‹«, erinnere ich sie. »Elisabeth wird nur mit ›Lady‹ angeredet.«
Sie stößt ihr deutsches »Ach« aus. »Ja. Also: Prinzessin Maria und Lady Elisabeth.«
»Sie pflegen den Hof an Ostern zu besuchen«, sage ich. »Um ihren Bruder zu sehen. Dann werden sie auch Euch begrüßen. Wir waren erstaunt, dass sie Euch nicht schon bei Eurem Einzug in London begrüßt haben.« Ich halte inne. Wieder habe ich zu schnell gesprochen, ich sehe, wie sie mir verzweifelt zu folgen versucht. »Es tut mir leid«, sage ich langsamer. »Die Prinzessinnen sollten zum Hof kommen, um Euch ihre Aufwartung zu machen. Sie sollten ihre Stiefmutter begrüßen. Sie hätten Euch in London willkommen heißen sollen. Für gewöhnlich kommen sie zu Ostern an den Hof.«
Sie nickt. »Also: Ich sie darf einladen?«
Wieder zögere ich mit der Antwort. Natürlich kann sie ihre Stieftöchter einladen, aber der König wird es nicht mögen, wenn sie sich diese Befugnisse anmaßt. Allerdings wird mein Gebieter, der Herzog, wohl kaum etwas gegen Differenzen der beiden einzuwenden haben, und es ist auch nicht meine Aufgabe, sie zu warnen.
»Ihr könnt sie einladen«, sage ich.
Sie nickt mir zu. »Bitte schreibt.«
Ich gehe zum Tisch und ziehe den kleinen Kasten mit den Schreibutensilien heran. Die Federn sind
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