Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
gespitzt, das Tintenfass ist gefüllt, der Sandbehälter ebenfalls, und auch eine Stange Siegelwachs liegt bereit. Ich liebe den Luxus bei Hofe, ich liebe es, die Feder in die Hand zu nehmen, einen Bogen Papier vor mich zu legen und auf das Diktat der Königin zu warten.
»Schreibt der Prinzessin Maria, ich werde mich freuen, sie zu sehen am Hofe an Ostern, und sie wird als Gast willkommen sein in meine Zimmer«, sagt sie. »Sagt man so?«
»Ja«, erwidere ich und schreibe es schnell nieder.
»Und schreibt an Erzieherin von Lady Elisabeth, ich werde mich freuen auch sehr, sie sehen am Hofe.«
Mein Herz schlägt ein wenig schneller, wie es mir als Zuschauerin bei einer Bärenhetze geschieht. Wenn sie diese Briefe schickt, handelt sie sich Ärger ein. Niemand außer ihm schickt an diesem Hof Einladungen aus.
»Könnt Ihr für mich schicken?«, fragt sie.
Mir verschlägt es fast den Atem. »Das kann ich«, sage ich. »Wenn Ihr es wünscht.«
Sie streckt die Hand aus, um die Briefe an sich zu nehmen. »Ich nehme«, sagt sie. »Ich werde sie zeigen dem König.«
»Oh.«
Sie wendet sich ab, um ein Schmunzeln zu verbergen. »Lady Rochford, ich würde niemals tun, das gegen Wünsche des Königs ist.«
»Ihr habt das Recht, die Damen in den Hofstaat zu berufen, die Ihr in Eurem Gefolge haben wollt«, erinnere ich sie. »Dazu habt Ihr als Königin das Recht. Königin Katharina hat stets darauf bestanden, ihr eigenes Gefolge zusammenzustellen, und Anne Boleyn desgleichen.«
»Es sind seine Töchter«, entgegnet sie. »Also ich werde ihn fragen, bevor ich einlade.«
Ich verneige mich, da es nichts mehr dazu zu sagen gibt. »Habt Ihr noch einen Wunsch?«, frage ich.
»Ihr könnt gehen«, sagt sie liebenswürdig, und ich ziehe mich zurück. Es ist mir durchaus bewusst, dass sie mich dazu verleitet hat, ihr schlechte Ratschläge zu geben. Denn sie hatte schon vorher den Vorsatz gefasst, was sie tun wollte. Wir alle sollten uns darauf einstellen, dass sie viel scharfsinniger ist, als irgendeiner geglaubt hat.
Ein Page in Norfolk-Livree lungert vor den Gemächern der Königin herum. Er übergibt mir einen gefalteten Brief, und ich gehe damit in eine der Fensterlaibungen. Draußen im Blumengarten blühen die gelben Narzissen und die Gänseblümchen, und in einer Kastanie voller schwellender, klebriger Knospen sitzt eine Amsel und singt. Endlich kommt der Frühling, der erste Frühling dieser Königin in England. Dann beginnt der Sommer mit seinen Picknicks, seinen Turnieren und Jagden und Lustpartien, Bootsfahrten auf der Themse und der Rundreise des Hofes zu Schlössern und Burgen im ganzen Land. Vielleicht kann er doch noch lernen, sie zu ertragen, vielleicht findet sie doch noch einen Weg, ihm zu gefallen. Ich werde es alles miterleben. Ich werde in ihren Gemächern sein, an einem Platz, der mir zusteht. Ich lehne mich an die Holzvertäfelung, um den kurzen Brief zu lesen. Er ist ohne Unterschrift, wie die meisten Briefe vom Herzog.
Der König wird nur so lange Umgang mit der Königin pflegen, bis Frankreich mit Spanien in Streit gerät. Dies ist beschlossen. Ihre Tage bei uns sind gezählt. Beobachtet sie. Sammelt Beweise gegen sie. Vernichtet dieses Schreiben!
Ich sehe mich nach dem Jungen um. Er lehnt an der Wand und wirft müßig eine Münze, sodass bald die eine, bald die andere Seite oben liegt. Ich winke ihn zu mir. »Sage deinem Herrn, dass sie die Prinzessinnen an den Hof einladen will«, flüstere ich ihm ins Ohr. »Das ist alles.«
K ATHERINE , H AMPTON C OURT , M ÄRZ 1540
Heute Abend beim Dinner ist der König höchst erzürnt, das sehe ich an der Art, wie er die Königin hereingeleitet und mir nicht einmal einen Blick gönnt. Das bekümmert mich sehr, weil ich ein neues Kleid trage (wieder ein neues!), das von blassgelber Farbe und unter dem Busen gerafft ist, sodass meine Brüste auf höchst hinreißende und schamlose Weise ausgestellt sind. Aber es ist reine Zeitverschwendung, einen Mann erfreuen zu wollen. Wenn du am allerbesten aussiehst, denkt er gerade an etwas anderes, oder wenn er ein Treffen mit dir vereinbart, muss er dringend woandershin, ohne sich auch nur halbwegs anständig zu entschuldigen. Heute Abend ist der König so böse auf die Königin, dass er mich kaum ansieht, und ich habe mein neues Kleid ganz umsonst angezogen. Andererseits sitzt dahinten am Tisch der Seymours ein ganz hinreißender junger Mann, der mein Kleid und dessen Inhalt durchaus zu schätzen weiß -
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