Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
anschließen.«
»Ich werde mein Bestes tun«, sage ich ohne rechte Überzeugung. »Aber ich bin erst vierundzwanzig. Er ist ein Mann von siebenundvierzig Jahren und seit seiner Jugend König. Vielleicht hört er gar nicht auf mich.«
»Ich weiß, dass du deine Pflicht tun wirst«, versucht mein Bruder sich selbst zu überzeugen, doch als die Zeit meines Abschieds näher rückt, werden seine Zweifel immer stärker.
»Ihr sorgt Euch doch wohl nicht um ihre Sicherheit?«, höre ich meine Mutter eines Abends sagen, als er mit seinem Weinkrug dasitzt und in den Kamin starrt, als sähe er in den Flammen meine Zukunft.
»Wenn sie sich gut benimmt, wird ihr wohl nichts geschehen. Aber er ist ein König, dessen Wille in seinem Land Gesetz ist. Er tut, was er will.«
»Ihr meint, was er seinen Frauen antut?«, fragt sie mit gedämpfter Stimme.
Er zuckt nervös die Achseln.
»Sie würde ihm niemals Grund geben, an ihr zu zweifeln.«
»Sie muss sich vorsehen. Er wird Macht über ihr Leben und ihren Tod haben. Er wird ihr antun können, was er will. Er wird sie vollkommen beherrschen.«
Ich sitze von beiden unbemerkt im dunklen Teil der Halle, und diese verräterische Bemerkung meines Bruders zwingt mir ein Lächeln ab. Endlich verstehe ich, was ihn in all diesen Monaten so beschäftigt hat: Er wird mich vermissen. Er wird mich vermissen wie ein Herr seinen nutzlosen Jagdhund, den er irgendwann in einem Wutanfall ersäuft. Er ist es so gewöhnt, mich zu drangsalieren und an mir herumzumäkeln und mich an jedem Tage dutzendfach zu plagen, dass ihm der Gedanke, ein anderer Mann könnte in Zukunft solche Macht über mich besitzen, unerträglich ist. Wenn er mich jemals geliebt hätte, dann würde ich dieses Gefühl Eifersucht nennen, und es wäre leicht zu verstehen. Aber mein Bruder liebt mich nicht. Er hegt vielmehr eine Art immerwährenden Groll, der ihm dermaßen zur Gewohnheit geworden ist, dass mein Fortgang ihm die gleiche Erleichterung bringt wie das Ziehen eines wehen Zahns.
»Wenigstens wird sie uns in England von Nutzen sein«, sagt er roh. »Hier ist sie doch mehr als nutzlos. Sie muss ihn zum reformierten Glauben bekehren. Sie muss ihn dazu bringen, dass er bekennender Lutheraner wird. Falls sie nicht ohnehin alles verdirbt.«
»Was sollte sie denn verderben?«, entgegnet meine Mutter. »Sie muss doch nur ein Kind von ihm bekommen. Dazu bedarf es keiner besonderen Fähigkeiten. Sie ist gesund, und sie blutet regelmäßig, und mit vierundzwanzig ist sie gerade im richtigen Alter fürs Kinderkriegen.« Sie überlegt einen Augenblick. »Er wird sie gewiss begehren«, fährt sie billigend fort. »Sie hat eine gute Figur, und sie hält sich gut, dafür habe ich gesorgt. Er ist ein Mann, der der Fleischeslust verfallen ist und sich leicht in das Äußere einer Frau verliebt. Vermutlich wird er sie zunächst vor allem fleischlich begehren, und sei es allein deshalb, weil sie neu für ihn ist und Jungfrau.«
Mein Bruder springt vom Stuhl auf. »Schande!«, ruft er aus, und seine Wangen brennen nicht nur von der Hitze des Feuers. Alle verstummen, als sie seine erhobene Stimme vernehmen, dann wenden sie sich rasch ab und versuchen, ihn nicht anzustarren. Leise erhebe ich mich von meinem Schemel und gleite zur hinteren Wand der Halle. Wenn er in Zorn gerät, sollte ich mich besser davonstehlen.
»Sohn, ich wollte nichts Falsches sagen«, versucht meine Mutter ihn zu besänftigen. »Ich meinte doch nur, dass sie höchstwahrscheinlich ihre Pflicht erfüllen und ihm gefallen wird ...«
»Ich kann es nicht ertragen, dass sie ...« Er bricht ab. »Ich kann es nicht ertragen! Sie darf sich nicht aufreizend verhalten!«, sagt er heftig. »Sagt ihr das! Sie darf nichts Unehrenhaftes, nichts Schamloses tun. Ihr müsst ihr einbläuen, dass sie zuallererst meine Schwester und Eure Tochter ist, dann erst seine Ehefrau! Sie soll sich kühl und geziemend betragen. Sie soll nicht seine Dirne werden, sie soll nicht die Rolle einer schamlosen, gierigen ...«
»Nein, nein«, beeilt sich meine Mutter zu sagen. »Nein, natürlich nicht. So ist sie auch gar nicht, Wilhelm, mein Herr, mein lieber Sohn. Ihr wisst doch, dass sie in Gottesfurcht und Respekt vor den Älteren erzogen wurde.«
»Nun, dann sagt es ihr noch einmal!«, ruft er. Nichts kann ihn jetzt noch beruhigen. Ich sollte besser zusehen, dass ich verschwinde. Er wäre außer sich vor Wut, wenn er wüsste, dass ich ihn in diesem Zustand gesehen habe. Ich greife hinter mich
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