Das Erbe Der Loge: Roman
Munitionskiste nicht erwähnt. Insgeheim hoffte ich aber, dass das geschehen würde, was ich prophezeit hatte: Fragen über Fragen von berufenen und weniger berufenen Lesern über den Inhalt an die Domverwaltung.
Da ich die einzigen Fotos über die Freilegung besaß, lag das Urheberrecht bei mir. Vielleicht konnte das noch von Nutzen sein, mir zu einer spannenden Story zu verhelfen.
Dass dieses »Vielleicht« in einer Katastrophe enden würde, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Kasten hatte in seiner ursprünglichen Bestimmung schon Munition enthalten. Aber die wirkliche Brisanz seines jetzigen Inhalts sollte sich erst Wochen später herausstellen.
Während die Druckmaschinen Hunderttausende von Blatt Papier für die morgige Ausgabe ausspuckten, versuchte ich mir den kurz überflogenen Inhalt des Kastens in Erinnerung zu rufen.
Im Laufe meiner Jahrzehnte als Journalist hatte ich eine Art optisches Kurzzeitgedächtnis entwickelt, das zwar nicht die Präzision eines Fotoapparats hatte, aber doch imstande war, Gesehenes für ein paar Stunden zu speichern. Nur ein paar Stunden Schlaf, und alles verschwamm zu einem nebulösen Mischmasch, von dem ich am nächsten Tag nicht mehr wusste, ob es Fiktion oder Tatsache gewesen war.
Doch meine Fähigkeit hatte offenbar gelitten. Obwohl der Beutel mit dem »Kandiszucker« eine Art Schatzsucher-Reflex in mir ausgelöst hatte, waren mir die Soldbücher die einzig wirklich verbliebene Erinnerung.
Die Namen der Inhaber auf der ersten Seite hatten keinen Reiz bei mir ausgelöst. Nur dass alle im Rang eines Offiziers, vom Leutnant bis zum Major gewesen waren. Keine Mannschafts- oder Unteroffiziersränge. Auf der Seite zwei war bei mir hängen geblieben, dass alle Ausstellungsdaten identisch und vom gleichen Kompaniechef unterzeichnet worden waren.
Alles zusammen drängte sich mir als Frage auf: Was sollte dieser Kasten an solch einem unmöglichen Ort?
Kein Mensch, der etwas zu verstecken hatte, würde sich einen Kirchenturm aussuchen, der vielleicht alle Jahrhunderte mal eingerüstet wurde. Denn ohne solch ein Hilfsmittel war dem Versteck nicht mehr beizukommen.
War das beabsichtigt? Sollte der Kasten für immer verschwinden? Dann gab es Millionen andere Möglichkeiten, um das weniger aufwendig zu bewerkstelligen.
Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte. Es gab nur die eine Erklärung: Wer immer den Kasten dort eingemauert hatte, musste vom Fach gewesen sein. Und wer war vom Fach, kannte sich mit dem präzisen Bearbeiten von Steinquadern und ihrer Handhabung in solchen Höhen aus?
Nur Steinmetze der Dombauhütte.
Wie mir Martin mal erzählt hatte, gab es seit hundertfünfzig Jahren genaue Aufzeichnungen in der Dombauverwaltung, wann was und wie durch wen am Dom gefunden oder renoviert worden war. Es durfte demnach kein Problem sein, herauszufinden, wann an dieser Stelle das letzte Mal ein Gerüst errichtet worden war.
Am Montag musste ich mir etwas einfallen lassen, um an diese Informationen zu kommen. Denn auf Martins Hilfe würde ich nach dem heutigen Vorfall nicht mehr bauen können.
Da ich dieses Wochenende keinen Redaktionsdienst hatte, genoss ich eine lange Nacht vor dem Fernseher mit Pizza und allem, was der Arzt verboten hatte. Es war schon gegen Mittag, als mich die Türglocke mit ihrem fiesen Dauerton aus dem Bett scheuchte.
Durch den Türspion zeigte sich das verzerrte Gesicht des ohnehin schon vom Schnaps und Bier aufgedunsenen Hausmeisters.
Kaum hatte ich die Tür geöffnet, waberte mir eine Alkoholfahne entgegen, gefolgt von einer Schimpfkanonade und einem Päckchen, auf dem unsere Samstagsausgabe lag.
»Die Flurreinigung stelle ich Ihnen in Rechnung«, bellte er abschließend und ließ beides fallen.
Mit dem nackten Fuß schob ich den Karton in den Flur und nahm die Zeitung, froh, sie nicht selbst aus dem Briefkasten vier Stockwerke tiefer holen zu müssen.
Nach einer gehörigen Portion Speckeiern und Toast - viel mehr konnte ich sowieso nicht zubereiten - genoss ich es, mal einen Samstag unsere Zeitung als Leser zu sehen. Was hatten meine Kollegen so alles zustande gebracht, wie war der Leitartikel meines ach so geliebten Chefredakteurs - kurz, alles Eindrücke, die ich in der Tageshektik längst nicht mehr wahrnahm.
Mein Artikel sprach durch die Fotos für sich. Der Text war durch das Layout etwas gekürzt und dadurch eine Idee zu missverständlich.
Aber was sollte es? War ohnehin nicht mehr zu ändern.
Als ich dem Badezimmer
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