Das Erbe Der Loge: Roman
geraten.
»Ich habe mir die Nacht um die Ohren geschlagen ...« Odilo lächelte das erste Mal, und der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Aber nicht wegen dir, sondern weil es mich persönlich interessiert«, relativierte er seine Aussage.
»Erzähl schon. Was hast du rausgefunden?«
Die Frage war ich ihm schuldig, obwohl mich viel mehr interessierte, was mit den Mikropunkten in dem schwarzen Buch war.
»Ja ...«, strahlte er und kletterte auf eine Kiste, um die Platte des Labortisches zu erreichen. »...der Kasten hat zwei Lackierungen ...«, fuhr er fort und ließ seine Beinchen über die Tischkante baumeln. »Ich habe beide analysiert und beide sind von der damaligen IG-Farben. Ich konnte sogar noch ihre Chargennummer identifizieren. Daher kann ich mit Gewissheit sagen, wann welche Lackierung aufgebracht worden ist.«
»Und was schließt du daraus?«, bemühte ich mich weiter und hoffte, dass es nicht zu gelangweilt klang.
»Die Grundierung und die erste Lackierung wurde nur für die Marine produziert. Sie stammt definitiv aus den Jahren 1934 bis 1936. Danach wurde die Rezeptur geändert.«
»Und die nächste Schicht?«
»Ist eine Sonderfarbe, die nur einmal 1939 für eine belgische Berkwerksgesellschaft in einer einzigen Charge hergestellt und nach Elisabethville verschifft wurde. Begreifst du das?«
Nichts davon begriff ich. Ich wusste noch nicht einmal, wo diese Stadt lag und welchen Bogen er schlagen wollte, zwischen einer Grundierung von 1934, was mir gerade noch einleuchtete, und einer belgischen Bergbaugesellschaft.
»Du warst schon in der Schule ein fauler Hund«, kommentierte er meine Verneinung und rutschte auf der Tischplatte hin und her. »Ich habe mich für dich im Internet schlau gemacht, damit du ordentlich viel zu schreiben hast. Also:
Elisabethville lag zu jener Zeit in Belgisch-Kongo, heute Demokratische Republik Kongo. Das liegt in Zentralafrika, wenn du mal danach suchen solltest. Davor haben sich die Franzosen und Portugiesen darum gekloppt, und die Franzosen waren es auch, die dort Uran gefunden haben. Dieses Erz wurde aber erst mit der Entdeckung von Otto Hahn interessant. Die Amerikaner und Engländer, die, wie schon erwähnt, 1942 erstmals die Kettenreaktion in den Griff bekommen hatten, brauchten jetzt dringend Uran in großen Mengen. Dazu griffen sie auf die bis dahin einzig sofort ausbeutbaren Vorkommen im Kongo zurück. Kapierst du das endlich?«
»Das Atomzeitalter war geboren«, seufzte ich und setzte mich neben ihn auf die Tischkante.
Odilo nickte und fixierte den Kasten in seinem gläsernen Käfig, als könnte er ihm so noch ein paar Geheimnisse entlocken.
»Was ist mit dem Buch und den Mikropunkten?«, drängte ich, da ich einsah, dass dieser Kasten für meine Story nur ein besseres historisches Füllsel zu werden drohte.
»Nichts«, knurrte er. »Absolut nichts. Ich konnte zwar diese Punkte als Filmträger entschlüsseln, aber die Strahlung hat alle Informationen darauf gelöscht. Tut mir leid.«
Er kletterte wieder auf die Kiste, um vom Tisch zu kommen, und löschte das Licht im Panzerglaskasten.
Meine Laune sank ins Unendliche, und ich hatte nur noch den dringenden Wunsch, hier rauszukommen und mich irgendwo sinnlos zu betrinken. Alles, was so verheißungsvoll begonnen hatte, stürzte ins Bodenlose. An eine kometenhafte Rückkehr in den Verlag war nicht mehr zu denken. Ganz klein würde ich unter dem Teppich des Verlegers um einen kleinen Posten bitten müssen ...
Odilo klopfte mir auf den Schenkel. Meine Verzweiflung war mir wohl anzusehen.
»Lass den Kopf nicht hängen. Ich hatte mir auch mehr davon versprochen. Aber eine kleine Aufmunterung habe ich noch für dich. Komm mit.«
»Was passiert mit dem Kasten?«, wollte ich wissen, als wir das Labor verließen und die Schleusentüren hinter uns zufielen.
»Den werde ich den Aufsichtsbehörden gleich melden. Hier kann er nicht bleiben. So, wie der strahlt, ist das Atommüll erster Klasse.«
»Und wo bleibe ich?«
Odilo hob die Hände und ließ sie wieder fallen.
»Schreib darüber, oder lass es bleiben. Ganz wie du willst. Nur weißt du jetzt, warum das Ding in dieser schwindelnden Höhe untergebracht wurde. Der Auftraggeber wusste um die Gefährlichkeit. Na ja, er hat es zur damaligen Zeit zumindest geahnt«, verbesserte er sich. »Wer immer das Zeug da einmauern ließ, hat es dort nur zwischengelagert. Wann ist der Staat Israel entstanden?«, wechselte er übergangslos das Thema.
Ich
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