Das Erbe Der Loge: Roman
verstand nicht, wie ich langsam überhaupt nichts mehr auf die Reihe bekam. Jeder vermeintliche Schritt vorwärts brachte mich zwei Schritte zurück. Je mehr ich entdeckte, umso weniger passte etwas zusammen.
»1948, glaube ich. Was hat das mit dem Kasten zu tun?«
Odilo lächelte verschmitzt und drückte auf den Knopf zum sechsten Stock.
»Mein Reich.« Er öffnete die Tür zu einem Raum, der endlich wie ein Labor aussah und nicht wie die Katakombe längst verblasster Hoffnungen.
Sonnenlicht strömte über die Labortische und Gerätschaften, und was den Raum so sympathisch machte, hier arbeiteten Menschen, die nichts mit der Verbissenheit der Pförtner gemein hatten. Freundlich lächelnde Wissenschaftler. Wer hätte das gedacht!
»Susanne, sind die Analysen fertig?« Odilo schaute an einer blonden Schönheit hoch, die nur etwas durch einen zu großen Labormantel verunstaltet wurde.
»Sofort, Doktor von Schweinitz. Ich bringe sie Ihnen ins Büro«, lächelte sie und musterte mich kurz.
»Danke«, grinste Odilo zurück, »dann gehen wir erst einmal einen Kaffee trinken, und ich erläutere dir meine Theorie.«
Sein Büro lag auf der anderen Seite des Flurs und hatte nichts von einem Gefängnisraum, wie ich es beim Chefarzt des Schlosses empfunden hatte. Die Tür wies keinerlei besondere Sicherheitsmaßnahmen auf. Die Einrichtung war hell, übersichtlich und der Schreibtisch überraschend aufgeräumt.
»Setz dich«, forderte er mich freundlich auf, vor dem Tisch Platz zu nehmen.
Er ließ sich in einen Sessel nieder, dessen Sitzpolster knapp über dem Boden angebracht zu sein schien, denn für eine Sekunde verschwand der kleine Mann unter dem Tisch. Ein leises Surren ertönte, und der Sessel fuhr hoch, bis Odilo die richtige Position erreicht hatte, um sich wie ein Mann normaler Größe mit den Unterarmen auf der Platte abstützen zu können.
»Ist doch praktisch«, schmunzelte er über mein Staunen. »Hat mir meine Frau zum Geburtstag geschenkt. Seitdem sind alle meine Sitzgelegenheiten so konstruiert. Da kann sogar ich Haltung bewahren.«
Ohne sich durch Anklopfen bemerkbar zu machen, brachte Susanne Kaffee und eine Mappe, musterte mich abermals lächelnd und verließ den Raum.
»Na na«, drohte Odilo mit dem Finger. »Da scheint sich ja was anzubahnen. Sei vorsichtig. Susanne ist gerade glücklich geschieden und meine beste Kraft. Außerdem ist sie zu jung für dich alten Esel. Bist du eigentlich verheiratet?«
»Können wir das Thema wechseln?«, brummte ich.
»Also nicht. Du bist und bleibst ein sozialpolitischer Rohrkrepierer«, amüsierte er sich und schlug die Mappe auf. »So ungefähr habe ich mir das vorgestellt«, murmelte er für sich, nachdem er etwa die Hälfte der Analysen durchgeblättert und überflogen hatte.
Bei einem Blatt hielt er inne und rückte seine Brille gerade.
»Hoppla«, jauchzte er. »Wir haben doch noch etwas entdeckt. Deine Story scheint dir sicher zu sein. Nur etwas anders, als du dir das vorstellst.«
Er drückte den Knopf auf der Wechselsprechanlage zu seiner Linken.
»Susanne, kommst du bitte mal, aber vorher verbindest du mich mit Professor Schünnemann. Danke ...«, und zu mir gewandt: »Tut mir leid, mein Dicker, ich muss mir jetzt erst etwas Gewissheit verschaffen. Das kann eine Stunde dauern. So lange wird sich Susanne um dich kümmern. Ihr könnt in der Kantine zu Mittag essen. Aber benimm dich. Das Mädchen ist im Dienst.«
Aus der Stunde wurden zwei, und ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob es die Aufregung war, endlich etwas Näheres über den Kasten zu erfahren, oder die Anregung, die Susanne bei mir hervorrief.
Bereits nach einer halben Stunde war ich über ihr Leben informiert und dass sie einen achtzehnjährigen Sohn hatte, der unbedingt Journalistik und Medien studieren wollte. Wenn mein Gehirn auch anfänglich einen ständigen Vergleich zwischen Hannah und dieser völlig anderen Erscheinung von Frau zog, so verblasste die israelische Version langsam mit jedem Wort dieser rheinischen Frohnatur mit ihrem aufs Höchste ansprechenden Äußeren. Dass sie mit zweiundvierzig zu jung für mich sein sollte, fand ich nicht, und außerdem wohnte sie in meinem Stadtteil.
»Der Graf ist so weit.« Sie schaute auf den Pieper. »Hoffentlich haben wir etwas gefunden, was dir weiterhilft. Mein Sohn wird jetzt nicht mehr zu bremsen sein, wenn er hört, wen ich kennen gelernt habe.«
»Kannst du mich mit in die Stadt nehmen? Ich kann mir seit der Scheidung
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