Das Erbe Der Nibelungen
ihr Schwert.
Es war ein ungleicher Kampf - Calder war zehn Jahre älter als Sigfinn und hatte mit dem Schwert zwanzig Jahre mehr Erfahrung. Trotz des Wahnsinns, der in seinen Schädel kroch, trotz der Müdigkeit in jeder Faser seines Körpers war der Usurpator allemal überlegen und parierte jeden Hieb Sigfinns mit einer manchmal schmerzhaften Leichtigkeit. Der Prinz von Island brachte zwischen sich und den Gegner, was immer er finden konnte, doch es schützte ihn nie lange.
»Wo ist der Ring?«, schrie Sigfinn.
»Welcher Ring?«, gab Calder zurück, und für einen Moment schien seine Klinge zu zittern.
Sigfinn gelang es, Calder durch eine geschickte Parade so weit in den Raum zu treiben, dass er sich eine Antwort zurechtlegen konnte. »Du hast ihn niemals abgelegt, nicht einen Augenblick. Es war der Ring, der dich erinnerte, der dich an die wahre Zeit band.«
Calder zögerte. Er hielt die Hand vor sein Gesicht, sah die helle Stelle an einem Finger, die einst ein schwerer Ring geziert hatte. Sie war nun blutig und vernarbt vom ständigen Kratzen, als hätte das fehlende Schmuckstück eine Wunde hinterlassen.
»Ich bitte dich, Calder - suche in deiner Erinnerung nach dem, was du längst weißt«, rief Sigfinn. »Du bist kein Eroberer, kein Tyrann auf dem Thron - finde den Mann, der du gewesen bist. Der du sein sollst.«
Es war nur ein Strohhalm, an den er sich klammerte. Sigfinn hatte keine Ahnung, ob Calders Geist nicht von diesem schwarzen Jahrhundert längst zerfressen war. Aber schlimmer noch, als von seiner Klinge durchbohrt zu werden, fand der Prinz von Island den Gedanken, einen ehemals treuen Freund mit Nothung zu richten. Es
lag nicht in seinem Blut, grausame Gerechtigkeit walten zu lassen.
Mit einem scharfen Fingernagel kratzte Calder ein wenig an der Wunde herum, schielte auf sie wie ein Kind, das erstmals die Wunder der Welt erblickt. »Mein … Ring.«
»Danain«, sagte Sigfinn. »Das Sonnental. Die Seherin Aude. Es ist dein Leben. Hol es dir zurück.«
Calders Augen fokussierten sich über seinen Finger hinweg wieder auf Sigfinn. Er grinste gemein. »Nicht schlecht, mein Prinz. Nicht schlecht. Für den Moment hattest du mich verwirrt. Doch nicht mehr.«
Es waren weniger einzelne Hiebe, vielmehr ein Wirbel aus Schlägen und Stichen, die Calder nun auf Sigfinn niederprasseln ließ. Schneller, hungriger, fordernder als zuvor. Wenigen konnte der Prinz mit dem Körper ausweichen, vieles musste Nothung abfangen, und die Stärke aus Calders Arm dröhnte durch Sigfinn, dass die Zähne in seinen Kiefern zu wackeln schienen.
Immer mehr ließ sich der Erbe von Island in die Ecke des Thronsaals drängen, immer kleiner wurde der Raum, auf dem er ausweichen konnte. Auch der unbotmäßige Gedanke, dem Duell zu entfliehen, stellte sich nicht mehr. Es gab keinen Ausweg - nur noch ihn, Calder und die Schwerter.
Es würde bald vorbei sein.
»Genug!«, hallte nun eine Stimme durch den Saal, erschöpft, aber kräftig.
Es war Brynja. Am anderen Ende des Raumes war sie aufgetaucht, gleich neben dem Thron. Sie hielt etwas über ihren Kopf, das wie eine Wurzel aussah. Nein, eher wie eine … Hand? Die Reste einer Hand, grausam entstellt.
Calder drehte sich zu ihr, für einen Moment nur, und
Sigfinn wusste, dass vielleicht seine letzte Gelegenheit winkte, das Blatt noch einmal zu wenden. Er wuchtete seinen Körper nach vorne, rammte die rechte Schulter in Calders Magen und schob den Herausforderer weit in den Raum hinein. Beide Männer verloren dabei ihre Schwerter und wälzten sich, ineinander verkrallt, über den Boden.
»Elsa ist … gefallen«, presste Sigfinn unter Schmerzen hervor.
»Zu dumm nur, dass es mich nicht schert«, knurrte Calder und legte den rechten Unterarm auf Sigfinns Kehle, um ihn zu ersticken. »Ich war ihrer müde.«
Dunkle Flecken tanzten vor Sigfinns Augen, und er ahnte, dass Brynja nicht in den Kampf eingreifen durfte. Immer schwärzer werdendes Blut strömte durch seine Adern, und sein Herz pochte brüllend in seiner Brust. Seine rechte Hand tastete umher, nach … irgendetwas.
Sie fand, was von Elsas Hand noch übrig war und ihm von Brynja nun gegeben wurde. Wie eine gebratene Wachtel fühlte sich das geschundene Fleisch an, und Sigfinn spürte den Ring, nach dem sie gesucht hatten. Knirschend brach er den Finger und zerrte das Schmuckstück herunter.
»Bin ich auch sonst nichts«, keuchte Calder, selber am Ende seiner Kräfte, »so bin ich noch König von Island.«
Mit der
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