Das Erbe Der Nibelungen
Linken packte Sigfinn nun Calders Handgelenk und drehte es so weit zurück, dass die Faust sich von alleine öffnete. Es war nicht einfach, aber es gelang dem Prinzen, den Ring auf einen der wütend zuckenden Finger zu drehen.
Augenblicklich lockerte Calder den Griff. Ein Schatten fiel von seinen Augen, und ein Nebel hinter seiner Stirn verzog sich eilig wie ein Dieb in der Nacht. Sein Kopf
ruckte hoch, als erwache er aus einem bösen Traum, und entsetzt aufschreiend krabbelte er rückwärts von Sigfinn fort.
Rettende Luft einsaugend, mühte sich Sigfinn auf die Beine, doch er kam nur in kniende Stellung. Mehr Kraft war in seinem Körper nicht mehr zu finden. Er kämpfte gegen die Ohnmacht, als er nach Nothung tastete und das Schwert der Vorväter an sich nahm.
Calder stand nun wieder, sah sich um, als sähe er Island und Isenstein zum ersten Mal. So furchtsam war sein Blick, wie Brynja und Sigfinn ihn noch nie gesehen hatten. Er erinnerte sich schlagartig an das, was gewesen sein sollte - und was wirklich gewesen war. Der Treueschwur an die Freunde, der Verrat mit der Hure von Burgund. Die Freude am Leben und der genüssliche Tod so vieler Gefährten. Die Liebe zur Freiheit und die Gier nach Macht. Nichts davon fand zusammen, nichts davon war in Einklang zu bringen.
»Erinnere dich, Calder«, versuchte Sigfinn es noch einmal. »Es muss nicht sein, wie es ist. Du bist einer von uns.«
»Alles hier … ist falsch«, ächzte der Mann, der nun wieder die Seele des Rebellen hatte. Er erkannte Brynja, und ein verzerrtes Lächeln überflog sein Gesicht. »Die kleine Brynja. Interessante Rüstung.«
Sie gönnte ihm keine Reaktion.
Langsam ging Sigfinn auf ihn zu. »Hör gut zu. Hurgan ist tot, der Drache ebenso, und Worms ist frei. Aber damit sein kann, was sein soll, muss das Amulett neu geschmiedet werden. Meine Hälfte, Brynjas Hälfte und der Ring mit dem Drachenauge. Erinnerst du dich?«
Calder blickte den Ring an, und sein Körper zitterte unter
der Flut der Bilder, die ihn durchströmten. »Ich war ein … ein Schmied.«
»Ein Schmied, genau«, bestätigte Sigfinn. »Ein fahrender Schmied in der wahren Zeit. Ein glücklicher Schmied.«
Calder atmete tief ein, obwohl es seine Brust fast zerriss. »Bei den Göttern. Ich war ein Schmied.«
Er lächelte jetzt fast so, wie er es früher im Sonnental getan hatte. Doch hinter seinen Augen lag unendlicher Schmerz. »Dieses Miststück - mit dem Ring hat sie mir die Erinnerung genommen.«
Er sah auf die zerbrochene Hand am Boden und dann zu Brynja. »Versprich mir, dass sie gelitten hat - bis zu ihrem letzten Atemzug.«
Brynja nickte vorsichtig. »Vielleicht leidet sie noch. Ich habe sie auf dem Feld aus Feuer und Eis zurückgelassen, entstellt und in ewigem Schmerz.«
Calder nickte zufrieden und drehte sich wieder zu Sigfinn. »Ich hätte dich eben fast getötet, edler Sigfinn. Und ich kann nicht einmal anfangen, mich dafür entschuldigen zu wollen.«
»Du warst nicht Herr deiner Sinne.«
Es war eine dieser schnellen, unberechenbaren Bewegungen, denen der Prinz nichts entgegenzusetzen hatte und mit der Calder die zwei Schritte zwischen ihnen überwand. Er packte die Faust, mit der Sigfinn sein Schwert hielt, und zog sie ruckartig zu sich. Nothungs Klinge glitt in seinen Brustkorb, gleich unter dem Herzen.
»In der Tat liegt meine Entschuldigung«, flüsterte er.
Sigfinns Augen wurden groß, und sein Schwertarm zerrte an der Bluttat, die nicht seine war. »Calder!«
Calder packte den Erben von Island beim Nacken und drängte sich weiter an ihn, bis seine Lippen fast Sigfinns
Ohr berührten. »Bitte du … Brynja um … Verzeihung für mich. Und lass mich gehen … ich bin das Letzte, was diese Zeit zusammenhält.«
Es war ein Versprechen, das Sigfinn nicht mehr geben musste - als Calder von seiner Klinge rutschte, war er bereits tot. Er fiel Brynja in den Arm, die ihn vorsichtig auf den Boden legte und seine Augen schloss. »Ich wollte ihm noch von dem Kind erzählen. Er sollte nicht sterben, ohne es zu wissen.«
Brunhilde trat zu ihnen, wie immer aus den Schatten. »Es kam, wie ich es erhofft hatte. Die Wahrheit siegt und die Stärke des reinen Herzens. Auch wenn sein Tod unvermeidlich war, so begegne ich Calders letzter Reue mit Respekt. Ich werde Odin um Gnade für seine ewige Seele bitten.«
Sie streckte die Hand aus, und Sigfinn gab ihr die vordere Hälfte des Amuletts von seinem Hals. Brynja riss sich mit einem Ruck die Kette herunter, die über
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