Das Erbe Der Nibelungen
fort.
»Ihr Nibelungen werdet an diesen Unannehmlichkeiten scheitern, wie es euer Schicksal ist«, hielt die Seherin dagegen. Sie trat einen Schritt zurück in den Schatten und löste sich mit ihm auf. Gadaric lächelte zufrieden - sie hatten sich von der alten Vettel nicht einschüchtern lassen. »Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet sie noch einmal in das Schicksal eingreifen würde?«
Der König rülpste vernehmlich. »Wir tun gut daran, sie nicht zu unterschätzen. Und jetzt lass mich allein.«
Gadaric nickte ergeben und tauchte ebenfalls in die Schatten.
Hurgan dachte nach. Natürlich gefährdeten die drei Lichter aus der anderen Zeit seine Pläne. Was sollte das überhaupt sein - drei Lichter? Andererseits: es machte das Spiel wieder spannend. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er so etwas wie Erregung, Herausforderung, Kitzel.
Er rief seine Wachen, um sich mehr Wein und Jungfrauen bringen zu lassen.
Der wuschelköpfige Rabauke Danain hatte Sigfinn erklärt, dass die Rebellen nicht nur aus purer Lust am Leben feierten - es war auch eine Flamme in der Dunkelheit. Sie verweigerten sich der Ödnis des Reiches, der Niedergeschlagenheit.
Und so schmückten an diesem milden Abend bunte Fahnen die kleinen Hütten, briet mancherlei Wildbret über vielen Feuern, klang Gelächter aus leichten Seelen in die Welt.
Sigfinn und Brynja, anfangs noch zögerlich, was diese seltsame Oase der Menschlichkeit anging, ließen sich mitreißen, tanzten - im Falle von Sigfinn ungelenk -, tranken und schlossen Freundschaft. Die Rebellen gaben ihnen neue, schlichte Kleider, in denen sie deutlich weniger auffielen als in den feinen Stoffen, die sie aus Island mitgebracht hatten.
Zwischen zwei Krügen Bier, die Brynja erstaunlich gut vertrug, fand sie den Weg zu Aude, einer Wahrsagerin aus dem früheren Frankenreich, die mit steinernen Runen das Schicksal zu prophezeien versprach.
»Kannst du wirklich sehen, was kommt?«, wollte Brynja wissen, als sie vor der erstaunlich jungen Frau Platz nahm und die Beine unter sich verschränkte.
Aude lachte, selbst über die Maßen angeregt von vergorenen Tränken. »Die Götter schicken mir die Botschaft direkt - plumps! - in die Steine!«
Sie warf eine Handvoll daumengroße Scheiben mit eingeritzten Runen in die Luft und sortierte sie im Sand nach Richtung und Zeichen auseinander. Dann kicherte sie mädchenhaft: »Leidenschaft. Nicht schwelend - lodernd! Dein Herz schlägt nur noch für den einen!«
Brynja errötete, obgleich sie das alberne Tun gut durchschaute. »Mein Herz kann ich selber spüren. Doch wie wird es uns ergehen? Was wird uns erwarten?«
Aude schob die Steine ein wenig hin und her. »Er ist mehr als der Mann deines Herzens. Er ist dein Schicksal. Du wirst ihm gehören und sein Leben tragen.«
Das Herz der Prinzessin schlug schneller. »Fühlt er wie ich?«
Die Wahrsagerin warf die Steine erneut. »Er kennt dich kaum und kennt dich doch wie kein anderer. Er sieht, was kein anderer Mann sieht.«
Brynja rutschte unruhig hin und her. Das klang nicht nach dem Mann, für den ihr Herz in letzter Zeit geschlagen hatte.
Aude stockte, drehte einen Stein, dann einen anderen. Ihr Blick verdüsterte sich.
»Was ist? Wie wird es enden?«
Aude mühte sich, ihrer Stimme falsche Leichtigkeit zu geben. »Gut wird es werden. Und glücklich. Weil es den Göttern gefällt. Nun geh zum Fest zurück - der Braten ist knusprig und die Musik vergnügt.«
Es verwunderte Brynja, wie abrupt die Wahrsagerin ihr Spiel unterbrach. Doch sie bedankte sich freundlich und gesellte sich zu ihren neuen Freunden.
Wie zufällig kam Calder aus der Hütte hinter Aude. Er sah Brynja nach, während er der Wahrsagerin den Nacken küsste. »Gut gemacht. Das schönste Schicksal ist doch immer jenes, das man sich selbst gestaltet.«
Aude sagte nichts. Sie war nicht glücklich mit dem, was sie getan hatte. Und sie war nicht glücklich mit dem, was die Steine tatsächlich vorhergesagt hatten …
Sigfinn fragte sich, wo Brynja war, während er herzhaft in das gebratene Stück Fleisch biss, das ihm jemand gereicht hatte. Es tat gut, in froher Gesellschaft zu essen und für einen Moment das tote Land zu vergessen. Die Rebellen vom Sonnental waren eine lustige Meute, und beinahe jeder hatte ein kleines Instrument, mit dem er zur Musik beitrug.
Hauptspielmann war jedoch Otker, ein alter Barde, dessen Vorstellung gleichermaßen Musik, Vortrag und Reisebericht war. Er brachte Kunde aus dem Land, auch
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