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Das Erbe der Phaetonen

Das Erbe der Phaetonen

Titel: Das Erbe der Phaetonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgi Martynow
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auf die Uhr zu sehen. Nun, da er an der plötz- lich einsetzenden Schwerelosigkeit merkte, daß die Beschleuni- gung aufgehört hatte und das Raumschiff, dem Gesetz der Träg- heit gehorchend, mit konstanter Geschwindigkeit weiterflog, stellte er fest, daß etwa dreizehn Minuten vergangen waren.
       Jenseits der unsichtbar gewordenen Wand dehnte sich die vertraute Sternenwelt. Das Schiff hatte offensichtlich die Venus- atmosphäre schon ganz verlassen und flog durch den interplane- taren Raum. In welcher Richtung? War die Steuerautomatik auf einen bestimmten Kurs eingestellt oder nicht? Das würde sich erst nach einigen Stunden aufmerksamer Beobachtung der Venus erkennen lassen. Eine unvollkommene Methode, doch eine andere stand ihnen nicht zur Verfügung. Kein einziges Navi- gationsinstrument war vorhanden.
       Der so plötzlich verlassene Planet schien ganz nahe. Den hal- ben Himmel bedeckte seine gewaltige schneeweiße Wolken- masse. Jetzt, da die Schwerkraft aufgehoben war, ließ sich nicht mehr feststellen, ob sich die Venus senkrecht unter ihnen oder seitlich befand. Allerdings schien die Sonne immer noch an der- selben Stelle zu stehen; Melnikow erinnerte sich, daß Wtorows Schatten schon vorher auf seine Füße gefallen war. So war es auch jetzt. Folglich hatte das Raumschiff seine Flugrichtung nicht geändert. Es trug sie der Sonne entgegen. So schien es jedenfalls. Doch das mußte noch genau festgestellt werden.

       Zweimal war Melnikow schon mit einem Raumschiff zur Ve- nus geflogen. Dreimal hatte er den Planeten aus der jetzigen Entfernung gesehen. Sollte er da nicht nach Augenmaß schätzen können, in welcher Höhe sie sich befanden? Vermutlich etwa zehntausend Kilometer. Ja, das mochte stimmen.
       Er stieß sich leicht ab, schwebte auf Wtorow zu und hielt sich an dessen Schultern fest. So konnten sie sich bequemer unter- halten.
       „Was meinst du, Gennadi“, fragte er, „um das Wievielfache hat die Schwerkraft beim Start zugenommen?“
       Wtorow hob den Kopf, und Melnikow blickte in ein toten- blasses Gesicht mit flackernden Augen. Die Lippen des jungen Ingenieurs waren fahlblau.
       „Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?“
       Wtorow lachte hysterisch auf.
       „Sie sind unvergleichlich, Boris Nikolajewitsch“, sagte er und fuhr fort zu lachen. „Ob ich mich nicht wohl fühle? Ich fühle mich wie jemand, der zum Tode verurteilt ist und schon die Schlinge um den Hals hat.“
       Melnikow merkte, daß sein Kamerad die Selbstbeherrschung verloren hatte. Hier half nur rigoroses Vorgehen, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
       „Schäm dich, erbärmlicher Feigling! Jammerlappen!“ sagte er scharf. „Und so was nennt sich Kosmonaut!“
       Überzeugt von der Wirkung seiner Worte, wandte er sich ab, um Wtorow Zeit zu lassen, wieder zu sich zu kommen.
       Wtorow schwieg.
       Als sich Melnikow ihm nach einer Weile erneut zuwandte, sah er, daß er seine Absicht erreicht hatte.
       „Haben Sie doch ein bißchen Nachsicht mit mir, Boris Niko- lajewitsch“, sagte Wtorow. „Nicht jeder kann so sein wie Sie. Wir haben doch nur noch sechs Stunden zu leben.“
       „Wieso denn das?“ fragte Melnikow und tat, als habe er nicht verstanden. Er wollte, daß Wtorow Überlegungen anstellte; es gab kein besseres Mittel für ihn, die Ruhe zurückzugewinnen.
       „Wieso? Ja, wissen Sie denn nicht, daß wir nur für zwölf Stunden Sauerstoff mitgenommen haben?“
       „Ach ja! Wieviel Zeit ist denn vergangen, seit wir die ,KS 3' verlassen haben?“
       „Meiner Schätzung nach ungefähr sechs Stunden.“
       „Das bedeutet also, daß unser Sauerstoff tatsächlich nicht mehr lange reicht. Sechs Stunden! In der Zeit kann man wahr- haftig nicht viel tun.“
       „Wir sind verloren . . .“
       „Schon wieder? Das hast du auch gesagt, als wir seinerzeit an der Küste des Venusfestlands im zertrümmerten Flugzeug saßen.“
       „Da habe ich das nicht gesagt.“
       „Nicht gesagt, aber gedacht. Und trotzdem leben wir noch immer.“
       „Aber jetzt ist keine Rettung mehr möglich.“
       „Ausweglose Situationen gibt es nicht. Wir haben noch zwei Chancen.“
       „Wieso?“
       Wtorow sah Melnikow überrascht an. Ihm selbst schien die Situation völlig aussichtslos.
       „Erstens“ – Melnikow sah mit Befriedigung, daß das Ge- sicht seines Kameraden allmählich wieder Farbe bekam – „müs- sen

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