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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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ob seiner Rückkehr wird bald abnehmen. Dann greift Montfort wieder an. Am besten während der junge Graf mit seinem Heer woanders kämpft. Jedenfalls sollte Raymond sich nicht zu häuslich einrichten, und mir wäre wohler, wir hätten unsere Katapulte bei uns …«
    Der Graf empfing seine Sterndeuterin gleich nach ihrem Einritt in die Burg, Miriam kam kaum dazu, sich frisch zu machen. Die Mädchen lud er zum abendlichen Bankett im Rittersaal – was nicht ganz der Etikette entsprach, da die Aufsicht der Herrin über den Minnehof fehlte. Die Gräfin Leonor weilte immer noch am Hof König Johanns. Aber Raymond sah das nicht zu verbissen. Anscheinend ging er davon aus, dass die Maurin seine Gattin bislang exzellent vertreten hatte, was die Erziehung ihrer Zöglinge anging. Da konnte sie ihnen und den jungen Rittern jetzt auch beim Bankett auf die Finger schauen.
    Ariane und die anderen jüngeren Mädchen waren ganz aufgeregt. In Montalban hatten sie nie mit den Rittern speisen dürfen. Natürlich hatte man sie in der drangvollen Enge der dortigen Burg auch nicht wie in einem Harem halten können, aber Miriam und Geneviève hatten zumindest ihr Bestes getan, ihre Tugend zu wahren. Jetzt, da sich die Vorschriften lockerten, überboten sich die Mädchen im Austausch von Schmuck- und Kleidungsstücken und wurden nicht müde, sich gegenseitig die Haare zu ölen, mit Eiweiß zu spülen und mit Silber- und Goldbändern zu durchflechten. Die etwas Älteren bettelten die Maurin um Harz- und Pflanzenfarben an, um ihre Lippen zu schminken und ihre Augen zu umranden.
    Nur Sophia und Geneviève spielten das Spiel nicht mit. Sie kleideten sich schlicht für den Abend und traten mit Herzklopfen in den großen Saal, in dem der Graf schon bereitstand, sie zu begrüßen.
    Sophia knickste vor ihm und erntete trotz ihres unauffälligen dunkelgrünen Samtkleides und der schmucklosen, etwas helleren Tunika, die weit darüberfiel, anerkennende Blicke.
    »Du wirst immer hübscher, mein Kind!«, lachte der Graf. »Dein Vater wird dich einmal gut verheiraten können. Wozu es Zeit wird! Aber Herr Roland wird ja wohl belagert, da unten in Lauenstein.«
    Sophia wurde erst rot und dann blass. Sie hatte seit Jahren nichts von ihren Eltern gehört. Von der Belagerung wusste sie nichts.
    »Und … und wie steht es?«, fragte sie ängstlich.
    Der Graf zuckte die Schultern. »Kind, ich hab meine eigenen Schlachten zu schlagen«, beschied er sie. »Aber dein Vater wird es richten, da mach dir mal keine Sorgen. Roland ist schon mit anderen Dingen fertig geworden als mit einem übermütig gewordenen Jüngelchen, das sein ›Erbe‹ fordert …« Damit ließ er Sophia stehen und wandte sich Geneviève zu.
    Die junge Frau knickste nur andeutungsweise. Geneviève hatte jede Achtung vor ihrem Landesherrn verloren. Sie trug ein schwarzes Kleid und hatte ihr prächtiges Haar straff nach hinten gekämmt und zu einem Zopf geflochten. Dennoch gelang es ihr nicht, ihre Reize zu verbergen. Im Gegenteil, ihr klar geschnittenes, edles Gesicht kam durch die strenge Frisur noch besser zur Geltung, und die unterdrückte Wut in ihrem Blick ließ ihre Augen blitzen.
    Der Graf sah sie bewundernd an. »Ich wähnte Euch fort von Okzitanien, Herrin Geneviève«, sagte er höflich. »Aber wie es aussieht, seid Ihr nicht gegangen.«
    Geneviève verzog die Lippen. »Und ich ging davon aus, dass Ihr bleibt, Herr, um Eure Pflicht zu tun. Aber wie ich feststellen musste, habt Ihr die nächstbeste Gelegenheit genutzt, Euch abzusetzen.«
    Der Graf lachte. Er war nicht verärgert. »Nun, jetzt bin ich ja wieder da!«, bemerkte er vergnügt. »Ich bin wieder da, und du bist gar nicht weit weg gewesen. Es fügt sich also aufs Schönste. Wie ist es, mein Engel, besuchst du mich heute Nacht?«
    Geneviève konnte sich nicht beherrschen. Sie vergaß, dass dieser Mann ihr Landesherr war und dass sie und die ihren von ihm abhingen. Sie vergaß, wo sie war und wie viele Menschen ihr zusahen. Geneviève hob die Hand und versetzte dem Grafen eine schallende Ohrfeige. Dann blitzte sie ihn noch einmal an und verließ den Saal.
    Sophia war aufgewühlt, als sie den Palas betrat. Sie wollte mit den anderen jungen Mädchen zu einem Tisch gehen, den die Maurin ihnen vorher angewiesen hatte – etwas abseits von den Rittern und vom erhöhten Tisch des Grafen gut einzusehen. Dort würde auch Miriam sitzen und die Mädchen im Auge behalten. Sophia wäre das recht gewesen, aber Flambert fing sie ab, bevor

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