Das Erbe der Pilgerin
bis Herbst 1218
Kapitel 1
S eid Ihr die Herrin Ay … Aya … Die Dame, die man die Maurin nennt?«
Der junge Ritter verhielt sein Pferd vor Miriam und verbeugte sich ehrfürchtig. Er trug Waffenrock und Kettenhemd und wirkte ein wenig verschwitzt, ebenso wie sein Pferd. Die beiden schienen einen längeren Ritt hinter sich zu haben.
»Ja«, antwortete Miriam kurz und verstimmt.
Sie war eben dabei, die dritte der kleinen Mangonels zu inspizieren, die Geneviève hatte bauen lassen, und sie war keineswegs zufrieden. Wieder einmal hatten die Handwerker all ihre Anweisungen missachtet. Weder war der Wurfarm verstärkt worden, noch genügte die Stärke der Holzringe, die als Anlaufscheiben gegen die Achslager der Räder gezogen werden sollten. Und es würde nicht einmal etwas nützen, die Männer gleich zusammenzustauchen, die provokant grinsend neben ihrem Machwerk hockten und eine Zwischenmahlzeit verzehrten. Sie würden sich alles anhören, aber keine einzige Veränderung vornehmen. Von einer Frau nahmen sie einfach keine Anweisungen entgegen. Also würde Miriam erst Salomon ansprechen müssen, der hatte sich von den Mängeln zu überzeugen, und erst dann würde hoffentlich etwas getan. Und in der Zwischenzeit belagerte Montfort eine Burg nach der anderen, und Montalban konnte die nächste sein!
Miriam prüfte schlecht gelaunt die Verspannung der Seile. Die war auch nicht tadellos … Es gab reichlich zu tun. Da fehlte ihr nun gerade noch dieser Ritter, der ihren Namen nicht aussprechen konnte!
Der Bote schien aufzuatmen. Offensichtlich hätte er in Miriam keine Maurin vermutet – seit dem Weggang des Grafen kleidete die junge Frau sich schließlich nicht anders als eine Kaufmannsfrau oder eine Dame von minderem Adel in Toulouse.
»Der Graf befiehlt Euch zu sich«, erklärte er jetzt mit sicherer Stimme sein Anliegen.
»Welcher Graf?«, fragte Miriam mürrisch und besah sich den Prellbalken. Wenigstens der war in Ordnung.
Der junge Ritter straffte sich. »Unser aller Herr Graf Raymond de Toulouse!«, sagte er stolz. »Er ist soeben in seiner Hauptstadt eingetroffen. Die Gegenwehr der Besatzer war verschwindend gering – und nun gehört Toulouse wieder uns! Die Menschen singen und tanzen auf den Straßen, Herrin, die Freude ist groß!«
Miriams Freude hielt sich in Grenzen. Natürlich begrüßte sie den Sieg des Grafen – sofern man es einen Sieg nennen konnte. Montfort hatte die Hauptstadt schließlich mehr oder weniger kampflos geräumt und eroberte derweil andere Orte – in denen er viel mehr anstellen konnte als in Toulouse, die Albigenser hatten die Stadt längst verlassen. Während der Graf sich erneut in seinem Palast einrichtete, brannten anderswo Scheiterhaufen.
»Der Weg von Montalban nach Toulouse ist zurzeit auch nicht sonderlich gefährdet«, meinte der Bote, womit er Miriam nichts Neues erzählte. Montalban schickte Patrouillenreiter aus. »Also solltet Ihr mir möglichst heute noch folgen.«
Miriam zog ihr Interesse endlich von der Kampfmaschine ab. »Noch mal, der Graf richtet erneut seinen Hof ein? Oder ist das nur eine Art Heerlager da in Toulouse?«
»Wo der Graf ist«, erläuterte der Bote würdevoll, »befindet sich selbstverständlich auch der Hof von Toulouse. Neben dem Ruf an Euch ergeht im Übrigen auch einer an die Herrin Geneviève de Montalban.«
Miriam zog die Augenbrauen hoch. »Na, die wird sich freuen«, bemerkte sie. »Hört, Monseigneur, wir werden uns natürlich dem Willen des Grafen unterwerfen. Aber dass wir heute noch aufbrechen, ist unmöglich. Und es geht auch nicht, dass der Graf lediglich meinen Mann und mich sowie Geneviève zu sich ruft. Er muss schon den ganzen Hof nehmen, den seine Gattin zurückgelassen hat. Die Mädchen können nicht ohne weibliche Aufsicht hierbleiben. Bisher habe ich den Hof der Herrin Leonor weitergeführt, also werde ich die Mädchen jetzt davon in Kenntnis setzen. Wir werden packen, und ich denke, morgen gegen Mittag wären wir aufbruchbereit. Bis dahin solltet Ihr Euch frisch machen und Euer Pferd versorgen. Es wirkt ja ganz erschöpft.«
»Verzeiht, Herrin, aber es ist ein dringlicher Auftrag, den ich da zu erledigen habe!«, wandte der Ritter ein. »Der Graf erwartet Euch!«
Miriam seufzte. Sie schlüpfte nur ungern wieder in die Rolle der allwissenden Sterndeuterin. Es war zu schwierig, Montforts Handlungen vorauszusehen, und obendrein sah sie, was den Ausgang dieses Krieges anging, ziemlich schwarz. Das konnte sie dem Grafen
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