Das Erbe der Pilgerin
überhaupt hin?«, fragte Rüdiger. »Dies ist der Weg nach Montalban.«
Das Mädchen zuckte die Schultern. »Hierhin oder dorthin, es ist gleich. Die Leute aus dem Dorf haben mich rausgeworfen. Der Pfarrer war gnädig, die anderen wollten mich fast verbrennen. Sie sagten, die Kerle gestern wären nur meinetwegen gekommen.«
»Aber warum denn?« Dietmar schüttelte den Kopf. »Du bist doch keine Ketzerin, oder?«
Das Mädchen senkte den Kopf. »Aber ich war eine«, gab sie dann zu. »Die Männer von Montfort haben meine Eltern verbrannt. Und unsere Freunde. Aber ich war noch so jung, da haben sie mich verschont. Und es war auch noch am Anfang, als so viele Bischöfe und Prioren und so mit den Kreuzfahrern ritten. Der eine, Dominikus, hat in Prouille ein Kloster gegründet. Für Albigenserinnen, die mit ihrem Glauben brachen. Da haben sie mich hingeschickt, und ich wurde dort erzogen. Aber ich wollte keine Nonne werden. Deshalb bin ich zurück in mein Dorf.«
»Und nun machen sie dich für den erneuten Überfall verantwortlich. Was für ein Unsinn!«, erregte sich Hansi.
»Was machen wir denn jetzt mit ihr?«
»Wir?«, fragte Rüdiger belustigt.
»Na, ihr wollt sie doch nicht hier auf der Straße lassen? Ganz allein. Wir …«
»Wir sollten sie wenigstens mitnehmen nach Montalban«, stimmte Dietmar zu.
Rüdiger warf einen Blick von einem zum anderen. Hansi schaute mit heiligem Ernst auf das Mädchen, Dietmar schien dagegen nichts Besonderes für sie zu empfinden. Sein Gesicht zeigte nur seinen üblichen beflissenen Ausdruck der Ritterlichkeit.
»Aber du nimmst sie aufs Pferd«, wies Rüdiger Hansi an, bemüht, ein Grinsen zu verbergen. »Dein Wastl ist das ruhigste …«
Dietmar wollte eben empört anmerken, dass auch sein Hengst nicht aufbegehren würde, wenn er das Mädchen auf seine Kruppe setzte, aber dann sah er Hansis verklärten Blick und hielt den Mund.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte er das Mädchen stattdessen.
»Esclarmonde«, antwortete sie mit klangvoller Stimme. »Wie die Schwester des Grafen von Foix, die berühmte Parfaite. Aber die Leute im Dorf haben Claire zu mir gesagt.«
»Klärchen …«, murmelte Hansi und hob das Mädchen selig auf sein Pferd.
Kapitel 3
S alomon von Kronach alias Gérôme de Paris war in den Burghof hinabgestiegen, um sich nach dem Fortgang der Arbeiten an den Mangonels zu erkundigen. Nach wie vor waren nicht alle Veränderungen vorgenommen worden, die Miriam angemahnt hatte – und selbst der langmütige Medikus wurde langsam wütend. Die Handwerker, die Pierre de Montalban ihnen gestellt hatte, waren ebenso dumm wie faul. Weder schienen sie zu verstehen, was von ihnen erwartet wurde, noch interessierte es sie.
Auch an diesem Tag war kein Arbeiter in Sicht, geschweige denn der Meister. Dafür umrundete ein junger blonder Ritter die Katapulte und schien jede Kleinigkeit in der Kombination von Seilwinde, Wurfarm und Standrahmen genauestens zu analysieren. Als er mit langen, schlanken Fingern die Geschossschale entlangfuhr, meinte Salomon, einem Trugbild aufzusitzen. Das Bild erinnerte ihn zu sehr an einen anderen jungen Mann, mit dem er einst Modelle gebaut und die Statik von Kathedralbauten berechnet hatte. Auch der hatte so eifrig und hoch konzentriert versucht, die Bauten mit allen Sinnen zu erfassen.
Salomon suchte Halt an der Burgmauer, als der Ritter jetzt aufsah. Das konnte nicht …
»Bonjour, Monsieur! Seid Ihr der Blidenmeister? Aber was habt Ihr denn, Ihr seid ja ganz blass?«
Die gleiche helle Tenorstimme, freundlich, anteilnehmend.
Salomon rang um Fassung. Aber natürlich war dies kein Gespenst. Und nun sah er auch die strahlend blauen Augen, die sich deutlich von den nebelgrauen seines damaligen Zöglings unterschieden. Es war … es musste …
»Dietmar!«, stieß der Medikus hervor. »Du bist Dietmar!«
Der junge Ritter runzelte die Stirn. Offensichtlich befremdete ihn die allzu vertraute Anrede, aber er brauste nicht auf wie viele andere, schnell beleidigte Männer seines Standes.
»Dietmar von Ornemünde zu Lauenstein«, stellte er sich vor. »Und wer seid … Ihr?«
Salomon trug schlichte Arbeitskleidung, eine kurze braune Tunika über schwarzen Beinlingen. Kein Wunder, dass ihn der junge Mann für einen Handwerker hielt, bestenfalls wäre er als Kaufmann durchgegangen. Aber der Medikus war jetzt viel zu aufgewühlt für höfliche Entgegnungen.
»Dietmar! Oder besser Herr Ritter – verzeiht die wenig korrekte Anrede, aber …
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