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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Dietmar fordernd die Hand entgegen. »Gebt es mir zurück, ich …«
    Flambert de Montalban räusperte sich. »Herr Dietmar, ich will Euch nicht zu nahe treten. Was auch immer da geschehen ist, ich … ich bin sicher, Ihr habt nicht unehrenhaft gehandelt. Aber meine Dame hat gerade einen großen Verlust erlitten. Und Eure Anwesenheit schreckt sie und regt sie auf. Also bitte, gewährt ihr, worum immer sie bittet, und dann verlasst uns.«
    Dietmar wollte den Kopf senken und nicken, aber er brachte es nicht über sich. »Ihr wart einmal meine Dame«, sagte er flehend und suchte Sophias Blick. »Ihr wolltet …«
    »Ich will mein Zeichen zurück!« Sophia stieß die Worte hilflos wütend aus, dann begann sie zu weinen.
    Dietmar zog das verschlissene grüne Band aus seinem Wams. Seine Finger berührten Sophias kleine, kalte Hand, als er es ihr zurückgab, und beide fuhren darüber zusammen, als hätte sie ein Blitzschlag getroffen.
    Sophia schloss die Finger um das Band. Es war noch warm von seinem Körper. Als sie aufsah, traf ihr Blick den seinen – einen Herzschlag lang versanken sie ineinander. Dann wandte Dietmar sich ab.
    Blind vor Tränen verließ er die Halle des Grafen, er sah nicht zurück.
    Salomon von Kronach starrte aus dem Fenster seiner Kemenate. Die Räume des Medikus lagen inmitten der Burganlage, er konnte kaum über die Mauern hinausschauen, aber er sah doch die Spitzen der Berge, und seine Sehnsucht flog darüber hinaus. Irgendwo dort war Lauenstein, irgendwo dort war Gerlin. Salomon hatte sich so viele Jahre nicht gestattet, an sie zu denken, dass es ihm jetzt schwerfiel, ihr Gesicht vor seinem inneren Auge zum Leben zu erwecken. Aber er brauchte natürlich nur Dietmar anzusehen, um sie fast leibhaftig wieder vor sich zu haben. Ihr Lächeln, ihr Stirnrunzeln, ihre Augen.
    Salomon hatte nie daran gedacht, Gerlin zu suchen und von Florís zurückzufordern. Florís war der Erste gewesen, sie hatte sich in ihn verliebt, lange, bevor sie ihre Gefühle für Salomon entdeckte. Und er passte zu ihr, Gerlin war das geworden, wofür man sie geboren und erzogen hatte: Sie stand einer Burg vor, erzog eigene und fremde Kinder, herrschte gerecht über ihre Ländereien und Dörfer. Die Menschen in Lauenstein hatten sie geliebt, in Loches war es sicher nicht anders. Was dagegen hätte er ihr bieten können? Eine Ehe mit einem Juden war nicht möglich, also hätten er oder sie ihr Leben lang lügen müssen über Herkunft und Glauben. Gerlin und Salomon, das war eine verzauberte, wundersame Nacht gewesen, aber mehr hatte es niemals sein dürfen. Sie war glücklich mit Florís geworden.
    Und jetzt war sie allein.
    Seit Salomon von Florís’ Tod gehört hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Natürlich lenkte es ihn ab, wenn es Verletzte oder Kranke zu versorgen gab, aber nicht mal die Arbeiten an den Mangonels vermochten ihn mehr zu fesseln. Was, wenn er Dietmar und Rüdiger auf dem Rückweg nach Lauenstein begleitete? Ihn hielt nichts in Toulouse. Aber dort? Er würde nur Unruhe in ihr Leben bringen, er würde nur Wunden wieder aufreißen …
    Salomon wandte sich um, als er ein Klopfen hörte. Das musste der Page mit dem Wein sein, er hatte einen der kleinen Diener gebeten, ihm einen Krug heraufzubringen. Es war ein feuchter Septembertag, sein Bein schmerzte wieder. Noch ein Grund zu bleiben, wo er war. Die Reise würde mehr als beschwerlich werden. Und was sollte Gerlin mit einem Invaliden?
    »Komm herein, Junge!«, rief er dem Pagen zu.
    Vielleicht brauchte er gar nicht aufzustehen – vielleicht konnte er einfach den Rest seines Lebens damit verbringen, auf die Berge hinauszuschauen und zu träumen.
    »Ich hoffe, ich störe nicht, Herr!«
    Salomon erhob sich nun doch verwundert. Nicht die Kinderstimme des Dieners, sondern der weiche Tenor, den er seit so vielen Jahren zu kennen meinte. Dietmar hatte die Augen seiner Mutter, aber die Stimme seines Vaters.
    Jetzt trat der junge Ritter ein, den Weinkrug in der Hand.
    »Ich traf den Pagen auf der Treppe, als ich … so herumlief. Und da dachte ich … ich … Ihr wolltet mir vielleicht von meinem Vater erzählen …«
    Die Stimme des jungen Mannes klang erstickt. Salomon sah verblüfft, dass ihm Tränen die Wangen herabliefen. Er seufzte.
    »Komm, hol zwei Becher und dann setz dich zu mir«, sagte er sanft und verfiel unvermittelt in das vertrautere Du. »Und dann erzählst du mir, was geschehen ist. Es geht um dieses Mädchen, nicht wahr? Aber ich dachte,

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