Das Erbe der Pilgerin
war wichtig für die Stadt, es versorgte die Bürger mit Gütern wie Getreide und Fleisch.
»Wie hat Eure Gattin das bloß vorausgesehen?«, fragte Flambert Abram, als sie nebeneinander hinausritten, um die Verteidigung des Örtchens zu verstärken. »Ich meine … wir wissen, dass sie sich auf Sterndeutung versteht, aber an einem so wolkigen Tag …« Tatsächlich war es grau und regnerisch gewesen, und jetzt, bei Nacht, stand kein Stern am Himmel.
Abram, der am Rande der Scharmützel den Priester Alain getroffen und gründlich ausgehorcht hatte, zuckte die Achseln. »Sie liest wohl auch aus Wolkenformationen«, bemerkte er. »Ach ja, Montfort erwartete übrigens Verstärkung aus dem Languedoc. Der päpstliche Legat hat dort Truppen ausgehoben. Aber er war nicht sehr erfolgreich.«
»Die Sterne scheinen erstaunlich präzise«, meinte Flambert misstrauisch.
Abram gab nichts zurück. Er hob nur dankbar die Hände gen Himmel.
Montfort erhielt seine Verstärkung tatsächlich und konnte zunächst sogar in Saint-Cyprien eindringen. Aber dann standen die Sterne wirklich und ganz ohne Miriams Zutun sehr gut für die Bürger von Toulouse. Katalonien und Aragón sandten dem Grafen Truppen – der Sohn des gefallenen Königs von Aragón sann auf Rache an Montfort. Mit Hilfe der neuen Kämpfer gelang es Raymond und seinen Leuten mühelos, die Kreuzfahrer aus dem Vorort zu vertreiben, bevor sie dort irgendwelchen Schaden anrichten konnten. Saint-Cyprien feierte, und die Angreifer richteten sich auf eine längere Belagerungszeit ein.
»Aber die Herrin Miriam sollte dem Grafen sagen, dass Saint-Cyprien keineswegs sicher ist«, wandte Dietmar sich besorgt an Abram. Er hatte sich die Verteidigungsanlagen des Örtchens angesehen und war entsetzt. Seitdem er sich vermehrt für Strategie interessierte, fielen ihm Fehler sofort ins Auge. »Es sollten Barrikaden errichtet werden. Und eine der Mangonels sollte hergebracht werden, möglichst gleich jetzt, bevor Montfort sich vor Toulouse so häuslich einrichtet, dass man mit größeren Wagen nicht mehr durchkommt. Dort könnten wir die Dinger auch gut erproben. Was meint Ihr?«
Abram sah das genauso, und gleich am nächsten Tag brachten Dietmar und Salomon die erste der inzwischen fertig gestellten Waffen in Stellung. Montfort baute ebenfalls Katapulte sowie eine Zeltstadt für seine Truppen auf. Er konzentrierte sich auf die Gegend um Montoulieu, um dessen schwache Verteidigungsmauern er zweifellos wusste.
»Raffiniert, er weiß, dass wir von dort aus kaum einen Ausfall machen werden«, meinte Salomon. »Die Gefahr wäre zu groß, dass sie uns zurücktreiben und dabei gleich die marode Mauer stürmen. So ist er verhältnismäßig sicher und wir auch. Die Erträge ihrer Gärten außerhalb der Mauern können die Bürger allerdings vergessen.«
Graf Raymond hatte eigentlich mit erneuten Angriffen gerechnet, obwohl Miriam wenig Grund zur Sorge sah. Aber tatsächlich blieb der gesamte Winter ruhig.
»Er wartet auf Verstärkung, sagen mir die Sterne«, behauptete Miriam. »Aber hütet Euch, der Bischof von Toulouse, dieser Verräter …« Folquet de Marseille, ursprünglich ein sittenfroher Troubadour, der sich sehr gut mit Raymond verstanden hatte, bevor er seinen Sinn für die Kirche entdeckt und sich zum Bischof von Toulouse hatte weihen lassen, hatte sich auf die Seite von Montfort geschlagen. Jetzt unterstützte er die Belagerer. »Der hochwürdige Herr reist in ganz Frankreich herum und wirbt für den Kreuzzug. Er wird im Frühling mit diesen Männern zurückkehren. Ihr solltet dann gewappnet sein.«
An Männern zumindest litt der Graf keinen Mangel, die neuen Garnisonen aus Hispanien drängten sich in der Stadt. Der Graf hatte sie im Bischofspalast, dem Kloster Saint Étienne und dem Kloster Saint Sernin untergebracht, weil das Château Narbonnais aus allen Nähten platzte. Die Versorgung der Kämpfer war zum Glück kein Problem – das Leben in Toulouse ging im Grunde weiter wie bisher. Die Handwerker gingen ihrer Arbeit nach – sie verdienten mit der weiteren Befestigung der Stadtmauern gutes Geld, das wiederum die Albigenser-Gemeinden von ganz Okzitanien dem Grafen zur Verfügung stellten. Die Kaufleute trieben Handel mit aller Welt und erhöhten ihre Preise kräftig. Sie rechtfertigten das mit den größeren Risiken durch die Blockade der Belagerer, was jedoch nur ein Vorwand war. Montfort hatte nicht annähernd genug Männer, um eine große Stadt wie Toulouse gänzlich
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