Das Erbe der Pilgerin
sie liebte dich. Als ich sie das letzte Mal sah, trug sie das Medaillon deiner Mutter.«
Während Salomon Dietmar Mut machte, Rüdiger sich nicht sattsehen konnte an Genevièves Augen und Hansi verklärt mit Esclarmonde durch den verwaisten Rosengarten der Gräfin streifte und versuchte, ihr die Sterne zu deuten, lag Sophia schluchzend in ihrem Bett. Auch sie hatte nicht auf dem Bankett bleiben wollen. Die Finger um Dietmars verlorenes Zeichen verkrampft, hatte sie sich von Miriam hinausführen lassen. Sie ließ sich wie eine Puppe auskleiden und trank brav den heißen Würzwein, den die Maurin ihr bringen ließ – aber sie vermochte die Hand nicht zu öffnen. Erst als Miriam ging und sich Dunkelheit über die Kemenate legte, lösten sich Sophias Finger. Sollte sie das Band fortwerfen? Schließlich gab sie dem Drang nach und drückte das verschlissene Stück Stoff, das noch Dietmars Wärme, seinen Geruch … und seine Liebe auszustrahlen schien, an ihr Herz.
Sophia war fest davon überzeugt, dass es richtig gewesen war, Dietmar zu verstoßen. Dennoch weinte sie sich in den Schlaf.
Kapitel 6
D ie nächsten Tage verbrachte Salomon damit, Dietmar die Mangonels zu erklären – was den jungen Mann ablenkte und von den anderen Rittern und erst recht von den Mädchen fernhielt. Auch hier zeigte der kämpfende Adel wenig Interesse an Waffen, die nicht für den Nahkampf bestimmt waren – abendländische Ritter lehnten auch Bogenschießen als feige ab. Dietmar teilte jedoch die Begeisterung seines Vaters für Mechanik und Baukunst. Bislang waren diese Neigungen bei ihm nur nie gefördert worden. Gerlin interessierte Mathematik nur im Bereich der Führung von Haushaltsbüchern, und Florís plante und baute allenfalls Verteidigungsanlagen. Am Hofe des Königs hatte man sich dann ganz auf Dietmars Erziehung zum Ritter konzentriert, Salomon wunderte sich, dass der junge Mann überhaupt lesen und schreiben konnte.
Nun, im Gespräch mit Salomon, der von seinem Vater und dessen vielfältigen Interessen an Kunst und Wissenschaft berichtete, erwachte allerdings schnell Dietmars Ehrgeiz. Die gemeinsame Beschäftigung mit Statik und Arithmetik lenkte beide Männer von ihren Sorgen ab.
Geneviève erklärte derweil dem weniger begeisterten Rüdiger das Johannesevangelium. Das Wetter war wieder besser geworden, und der Ritter ging einer Beschäftigung nach, über die er sonst stets gespottet hatte. Er saß traulich mit seiner Dame im Rosengarten und ließ zu, dass sie ihm vorlas. Nun hätte er sich interessantere Lektüren denken können, aber er war fest entschlossen, dieses Mädchen zu erobern und wenn schon nicht von der Ketzerei abzubringen, so doch wenigstens von den Selbstmordabsichten. Rüdiger war es egal, was Geneviève glaubte – er hatte auch mit zu vielen alten Kreuzrittern gesprochen, um dem Papst seine Sorge um das Seelenheil der Albigenser abzunehmen. Nach seiner Überzeugung ging es in jedem Krieg um Land und Beute. Und seine Interpretation der bei Gemetzeln gern vorgetragenen Worte »Gott wird die Seinen schon erkennen« war eine weitaus freundlichere denn die des Simon de Montforts. Gott würde nach dem Tode richten, und er hatte alle Zeit der Welt. Wozu also die Sache beschleunigen? Rüdiger genoss einen guten Kampf, aber er zog das Turnier dem Krieg vor, und wenn es sein musste, so tötete er seine Gegner schnell. Niemals hätte er jemanden verbrannt oder zu Tode gefoltert. Erst recht keine Frauen und Kinder.
Aber wenn er Geneviève von irgendetwas abbringen wollte, so musste er erst mal verstehen, worum es überhaupt ging, und er musste auch ihre Gunst erringen. Also hörte er ihren Vorträgen zu und berauschte sich am Anblick ihres beseelten, ausdrucksstarken Gesichts und ihrer klingenden Stimme.
Geneviève ihrerseits bemühte sich, ihre wachsende Sympathie für den jungen Ritter zu leugnen. Sie sprach mit ihrem Diakon über ihren »Schüler« – in der Hoffnung, Rüdigers Missionierung wäre eine Entschuldigung für ihr häufiges Beisammensein. Der Parfait rügte sie allerdings streng. Frauen durften in der Kirche der Albigenser zwar das Consolamentum nehmen und auch geben. Aber predigen und missionieren durften sie nicht.
In ihrer Enttäuschung darüber unterlief Geneviève dann eine weitere und sehr viel weniger lässliche Sünde: Sie erkundigte sich bei Sophia nach Abstammung und Vorgeschichte des Rüdiger von Falkenberg. Dabei hatte Sophia mit sich selbst genug zu tun. Seit dem Bankett mied auch sie
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