Das Erbe der Pilgerin
kommen!«
Von Letzterem war Miriam überzeugt. Abrams Informant, der verängstigte Priester, hatte sie noch nie enttäuscht.
»Ihr solltet Boten zu Eurem Sohn schicken, vielleicht kann er uns entsetzen …«
Raymondet, der Erbe des Grafen, focht irgendwo in Okzitanien gegen Splittergruppen von Kreuzrittern. Miriam hatte keine Ahnung, wie groß das Heer war, das er führte, und mochte deshalb nicht zu einem Frontalangriff auf die anrückenden Verstärkungstruppen für Montfort raten.
»Ich löse jetzt erst mal das Problem mit der kleinen Ornemünde!«, erklärte der Graf überraschend. »Ruft mir Flambert de Montalban!«
Miriam nickte resigniert und verließ aufatmend die Räume des Grafen. Raymond musste schon recht trunken sein, wenn er so unwesentliche Entscheidungen ausgerechnet direkt nach einer Schlacht treffen wollte. Aber die Kunde darüber, welche Ritter sich an diesem Tag ausgezeichnet hatten, hatte ihn bereits erreicht, und Flambert de Montalban stand ganz oben auf der Liste. Der Ritter hatte eine Belohnung verdient – wobei Miriam sich nicht sicher war, ob er Raymonds Vorstoß wirklich als solche empfinden würde. Flambert liebte Sophia zweifellos, für Miriam stand jedoch seit seinem Zweikampf mit Dietmar fest, dass diese Sache noch längst nicht entschieden war. Sie hatte der Auseinandersetzung nicht beigewohnt, nur den Klatsch darüber gehört. Dietmar, den sie in den Räumen des Medikus getroffen hatte, wollte sich nicht näher zu der Sache äußern, sie erinnerte sich aber noch gut an sein verklärtes Gesicht und seine leise, sanfte Stimme.
Sie hat mich angesehen …
Der junge Ritter hatte die Worte bestimmt drei Mal wiederholt, und Miriam hatte Augen selten so strahlen sehen.
Flambert dagegen schien seit jenem Vorfall verändert. Natürlich hofierte er Sophia weiterhin, aber es war nicht mehr ganz das Gleiche. Flamberts Werben war verhaltener, Sophia wirkte verschämt und zurückhaltender. Die aufmerksame Miriam bemerkte, dass ihr Blick immer wieder Dietmar folgte, wenn sie mit den Rittern zusammenkam.
Und vor dieser Schlacht hatte sie Flambert nicht geküsst.
Miriam behielt die Kemenate des Grafen im Auge, nachdem sie Flambert dessen Einladung überbracht hatte. Es war pure Neugier, aber sie wollte einfach wissen, wie er das Ultimatum des Grafen aufnahm. Der junge Mann wirkte denn auch äußerst aufgewühlt, als er Raymonds Räume verließ. Er hastete so blind durch die Gänge, dass er beinahe mit Miriam zusammengestoßen wäre.
»Verzeiht, Sayyida«, murmelte er, als er sich wieder fasste. »Ich … war unaufmerksam. Aber der Graf hat mich da eben in eine Zwangslage gebracht … Sagt, lest Ihr auch die Sterne für einen Einzelnen?«
Miriam lächelte unter ihrem Schleier. »Braucht Ihr denn so dringend die Sterne? Reicht nicht einfach der Rat einer Freundin oder der eines Freundes? Wenn Ihr mögt, begleitet mich doch zu Seigneur de Paris.«
Noch während sie die Worte aussprach, schoss ihr durch den Kopf, dass er dort womöglich Dietmar treffen könnte. Aber der verbrachte den Abend nach der Schlacht sicher nicht bei seinem Lehrer, sondern im großen Saal mit den anderen Rittern.
Flambert schien ähnliche Überlegungen zu hegen, aber dann nickte er. Kurze Zeit später klopfte Miriam an die Tür des Medikus.
»Herein.«
Salomon antwortete sofort, aber er wirkte abgekämpft. Nach der Schlacht hatte er stundenlang die Verwundeten versorgt und sich dabei sicher mit mehr als nur einem der sonst zuständigen Bader gestritten. Wahrscheinlich verdankten etliche der Verletzten den Erhalt ihrer Arme oder Beine seiner Behandlung, die eher auf orientalischen Erkenntnissen beruhte denn auf der Überlegung, dass Amputation die sicherste Lösung zur Vorbeugung von Wundbrand darstellte. Jetzt saß er erschöpft auf seinem Lieblingsplatz und nippte an heißem Würzwein.
Miriam bediente auch sich und den jungen Ritter, der jetzt wieder einmal skeptisch guckte. »Manchmal glaube ich, Ihr seid gar keine Maurin«, murmelte er, was Miriam mit einem strengen Blick ahndete.
»Der eine ist dies, der andere ist das«, sagte sie schließlich. »Und manchem würde es besser bekommen, nicht alle Welt wissen zu lassen, was er ist.«
»Ihr meint, ich sollte mich nach außen hin zum Papst bekennen, aber innerlich dem wahren Glauben treu bleiben, damit ich Sophia heiraten kann?«, fragte Flambert und nahm einen Schluck Wein.
Auch er wirkte erschöpft nach dem Kampf, seine Wangen waren eingefallen und über
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