Das Erbe der Pilgerin
von der Außenwelt abzuschließen. Natürlich kam es vor, dass er einen Gütertransport abfing, aber mit Wegelagerern musste ja auch sonst gerechnet werden. Die Wagenkolonnen wurden immer von Rittern begleitet, die den Angreifern Gefechte lieferten und dabei sehr oft siegreich waren.
So kamen Luxusgüter in die Stadt, und der Graf fand Gefallen daran, das Leben an seinem Hof so normal wie nur möglich zu gestalten. Der Winter verging mit Banketten und kleinen Festen, Ritter und Mädchen trafen sich zum gemeinsamen Plaudern und Musizieren. Die Maurin hatte damit zu tun, dem Grafen die Sterne zu deuten und zeigte ohnehin wenig Interesse daran, die Tugend ihrer weiblichen Schutzbefohlenen zu bewahren. Sofern die nur regelmäßig zu ihren Unterrichtsstunden in Literatur, Arithmetik und Astronomie erschienen, konnten sie machen, was sie wollten.
Und Geneviève, die die Vertretung der abwesenden Herrin des Hofes übernommen hatte und sehr viel strenger war, verlor sich in diesen Monaten in eigenen Tändeleien. Natürlich hätte sie ihre ernsthaften Gespräche mit Rüdiger von Falkenberg, die langsam über religiöse Themen hinauswuchsen und allgemeinwissenschaftlich wurden, nie Tändelei genannt, und wenn sie ihm auf der Laute vorspielte, so auch nur, um gewisse Musiktheorien zu bestätigen oder ad absurdum zu führen.
»Das Mädel wär eher was für den Medikus!«, neckte Hansi. »Wie gut, dass sie nie nach deiner Meinung fragt, sie würde schnell feststellen, dass du keine hast.«
Rüdiger ließ den Spott an sich ablaufen, lauschte Geneviève mit heiligem Ernst und freute sich daran, dass sie weicher wurde und ihm langsam zu vertrauen schien. Weniger erfreut darüber war der Graf, der die junge Frau nach wie vor zu umwerben versuchte. Das führte auf die Dauer zu einer regelrechten Rivalität zwischen dem Herrn der Burg und dem einfachen Ritter – für Rüdiger keine leichte Situation. Mehr als einmal forderte ihn der Graf bei den täglichen Wehrübungen der Ritter, und Rüdiger übte sich in der Tugend der Demut, indem er sich von Raymond vom Pferd werfen ließ.
»Du brichst dir noch mal den Hals!«, schimpfte Hansi, als er Rüdiger den Rücken mit Kampfersalbe einrieb, nachdem der Ritter böse gefallen war. »Sieh wenigstens zu, dass du geschickter fällst, auch wenn es dann nicht so echt aussieht.«
Hansi seinerseits erlernte im Handumdrehen die Kunst der höfischen Rede, was an Esclarmonde eher verschwendet war. Das junge Mädchen war leicht zufriedenzustellen. Es freute sich über Hansis kleine Aufmerksamkeiten, lauschte mit Hingabe dem Gesang der Troubadoure bei Hofe und gewährte ihrem Ritter auch bald den ersten Kuss. Hansi schien ernstlich an ein Eheversprechen zu denken, aber das ließ sich nicht organisieren. Esclarmonde war nicht adlig – wenn Hansi sich mit ihr verband, wurde es kompliziert.
Rüdiger vertrat die Ansicht, das Mädchen nach Ende der Kämpfe mitzunehmen und den Fall dem französischen König vorzutragen. Dem würde dazu sicher etwas einfallen. Abram präsentierte dann jedoch eine einfachere Lösung.
»Nimm sie mit auf deine Güter – lade all deine Nachbarn ein und stell sie als Esclarmonde von Foix vor. Den Namen hat jeder schon mal gehört, aber wetten, dass damit keiner diese Parfaite mit ihrem Mädchenkloster verbindet? Und aus Foix kommt dein Klärchen doch auch. Oder jedenfalls fast. Dann heiratest du sie, und niemand wird je eine Frage stellen. Im Gegensatz zum französischen König. Dem passt es bestimmt nicht, dass sein Günstling hier auf Seiten der Albigenser kämpft.«
Philipp August von Frankreich stand klar auf der Seite Montforts – er plante schon längst, seine Hand auf die Güter der Grafen von Toulouse zu legen und sah in Montforts Kreuzzug eine probable Möglichkeit dazu.
Sophia von Ornemünde hielt sich vom Leben am Hofe weitgehend fern. Vor allem in den ersten Wochen nach der Nachricht vom Tod ihres Vaters und dem Eklat mit Dietmar saß sie meist unglücklich und trauernd in ihrer Kemenate. Allzu lange ging das jedoch nicht, wie Sophia sehr wohl wusste. Es war schon ein Privileg, dass die anderen Frauen sie noch in Ruhe ließen – die wirkliche Herrin des Minnehofs hätte sie schon nach wenigen Tagen gezwungen, wieder am Alltagsleben teilzunehmen. Nicht nur Rittern wurde wenig Zeit zum Trauern gelassen, auch Freifrauen hatten Tod und Veränderung möglichst stoisch zu respektieren. Sophia hatte ihren Vater und ihr Erbe verloren, aber das Leben ging weiter.
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