Das Erbe der Pilgerin
näheren Umstände wusste sie immer noch nichts.
Dann begann der Kampf – verlief jedoch enttäuschend für die Zuschauer. Die Ritter sprengten verhalten aufeinander zu, als wollten sie die Stärken und Schwächen des anderen erst mal ausloten. Endlich traf Dietmars Lanze Flamberts Harnisch, rutschte daran aber sofort ab, und es gelang Flambert sichtlich mühelos, Dietmar aus dem Sattel zu heben. Der Ritter schien verblüfft darüber, stieg jedoch sofort ab und stellte sich zum Schwertkampf, als Dietmar sich aufraffte. Er hatte sich nicht verletzt, trotzdem war die Art, wie er jetzt sein Schwert führte, träge und ungeschickt. Flambert brauchte nur wenige Schläge, um ihn zu entwaffnen, und unter seinem halbherzigen nächsten Schlag – zu dem er schon angesetzt hatte, als Dietmar die Waffe verlor – ging der Franke zu Boden. Flambert hielt Dietmar kurz das Schwert an die Kehle, um den Kampf zu beenden, dann ließ er die Waffe sinken und machte Anstalten, seinem Kontrahenten aufzuhelfen.
Er war so verwundert über seinen raschen Sieg, dass er nicht mal zu den Zuschauern hinaufsah – wo Sophia eben aufsprang, sich den Weg durch die Ritter und Mädchen bahnte und die Treppe zum Kampfplatz hinunterhastete.
»Ihr habt nicht wirklich gekämpft«, sagte Flambert vorwurfsvoll zu Dietmar, sobald beide das Visier gelüftet hatten. »Ihr habt mich gewinnen lassen. Das ist schändlich, ich sollte Genugtuung fordern!«
Dietmar seufzte. Er lag immer noch am Boden und schien sich nicht recht entscheiden zu können, die helfende Hand des Gegners zu ergreifen.
»Wolltet Ihr den Geiern da oben wirklich dieses Schauspiel bieten?«, fragte er. »Womöglich gar ernsthaft kämpfen auf Leben und Tod? Wolltet Ihr riskieren, dass Ihr durch meine Hand zu Schaden kommt? Dass ich Sophia nach ihrem Vater auch noch den Liebsten nehme?«
Flambert schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Ich hege Euch gegenüber keinen Groll. Was zwischen Euch und Sophia war, war … früher«, schloss er mit unsicherer Stimme.
»Dietmar! Was hat er, Flambert? Ist er verletzt? Ist er … ist er …«
Sophia von Ornemünde richtete das Wort an Flambert, aber sie gönnte ihrem Ritter keinen Blick. Stattdessen kniete sie sich in den Staub neben Dietmar und beruhigte sich erst, als sie dessen offene Augen und gesunde Gesichtsfarbe sah.
»Es ist nichts passiert«, sagte Flambert.
Seine Stimme klang erstickt und holte Sophia zurück in die Wirklichkeit. Ihr musste jetzt klar werden, wie unmöglich sie sich aufführte. Über ihr bleiches, zartes Gesicht zog tiefe Röte.
»Und ich dachte … ich dachte …« Sie straffte sich – und schaffte es, Flambert ein Lächeln zu schenken. »Ich bin gekommen, um meinen Ritter zu ehren«, sagte sie, hörbar bemüht.
Während Dietmar sich allein wieder auf die Beine kämpfte, küsste sie Flambert. Die Zuschauer auf dem Wehrgang jubelten dem Paar zu. Aber Flambert lächelte nicht, und er machte auch keine Anstalten, ihre Lippen mit seiner Zunge zu öffnen. Ihr Blick ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Blick, mit dem sie Dietmar von Lauenstein bedacht hatte.
Kapitel 7
D er Frühling brachte dann endlich wieder Bewegung in den Krieg um Toulouse. Miriam las in den Sternen, dass Montfort Verstärkung erwartete, und der Graf entschied sich zu einem Ausfall. Zu Ostern, während die Christen ihre Messen feierten, versammelte er die Ritter zum Angriff auf die Belagerer. Sie fochten durchweg tapfer, die Schlacht tobte während eines ganzen Tages, und zum ersten Mal in diesem Krieg wurde es wirklich blutig. Viele Ritter und Fußsoldaten beider Seiten blieben tot oder verwundet auf dem Schlachtfeld zurück. Die Verluste bewirkten jedoch nichts. Weder konnten die Kämpfer aus Toulouse die Streitmacht der Belagerer zerschlagen, noch gelang es Montfort, in die Stadt einzudringen.
»Alles für nichts!«, wütete der Graf am Abend und leerte verärgert den dritten Becher Wein. »Konntet Ihr das nicht voraussehen, Herrin Ayesha?«
Miriam zuckte die Schultern. Auch sie verlangte es nach Wein, aber einige der spanischen Ritter, die neuerdings zu des Grafen engsten Beratern zählten, kannten sich mit der Religion der Mauren besser aus als Raymond. Sowohl Abram als auch Salomon hatten Miriam gewarnt, in ihrer Gesellschaft Wein zu trinken oder auch nur ihr Gesicht zu zeigen.
»Die Sterne enthüllen, was sie enthüllen wollen. Ich bin nur der Vermittler. Als solcher sah ich Verstärkung für Montfort voraus, und glaubt mir, sie wird
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