Das Erbe der Pilgerin
verschoss, behielt seine Freunde im Auge. Hinter ihm entdeckten sie zu ihrer Verwunderung Esclarmonde. Und das Bauernmädchen beschränkte sich nicht auf das Zuschauen beim Kampf – tatkräftig füllte es die Köcher der Schützen, erhitzte Pech, um die Pfeile hineinzutauchen und dann zu entzünden und wirkte schon genauso verschwitzt und schmutzig wie die Kämpfer. Esclarmondes elfenhafter Schönheit tat dies jedoch keinen Abbruch. Ihr feines blondes Haar wehte im Wind, und ihr kleines gebräuntes Gesicht wirkte rührend in seinem Eifer.
Auf dem Schlachtfeld versuchten es die Ritter zunächst wie immer mit dem frontalen Angriff mit der Lanze, gingen dann aber schnell zum Schwertkampf zu Pferde über. Es ging schließlich darum, sich gezielt zu Montforts Kriegsmaschine vorzukämpfen, die natürlich erbittert verteidigt wurde. Rüdiger arbeitete sich schnell weit vor – und war verblüfft, als er sich plötzlich einem der Würdenträger des gegnerischen Heers gegenüberfand. Guy de Montfort, Simons Bruder, kreuzte die Klinge mit ihm. Rüdiger ließ sich dadurch nicht einschüchtern, aber natürlich war die Gefahr hier größer als bei anderen Gegnern. Montfort focht nicht unfair, wie Mathieu de Merenge es gegen Dietmar getan hatte, aber er hatte doch stets eine Anzahl von Rittern bei sich, die ihm den Rücken freihielten. Rüdiger hätte sich lieber mit anderen Gegnern auseinandergesetzt und versuchte, sich zurückfallen zu lassen. Aber dann bäumte sich das Pferd des Guy de Montfort plötzlich auf. Bedauernd sah Rüdiger einen Pfeil in der Brust des prächtigen Schimmels und verpasste die Gelegenheit, den unsicheren Sitz seines Gegners zu nutzen, um ihn zu töten oder zu verletzen. So stürzte Guy de Montfort gemeinsam mit seinem Pferd, und seine Ritter sprengten sofort vor, um ihn abzuschirmen. Ihre Phalanx trieb Rüdiger zunächst weiter zurück, er hoffte verzweifelt, dass er langsam wieder in die Nähe der Kämpfer seines eigenen Heeres kam.
Aber dann begann einer von ihnen, ihn mit dem Schwert zu attackieren. Rüdiger schlug zurück, sein Gegner erwies sich jedoch als ebenso stark wie erfahren. Natürlich, die Leibgarde eines Montfort bestand nicht aus Anfängern. Rüdiger blieb dem Mann dennoch nichts schuldig. Er musste sich zumindest so lange halten, bis andere sich zu ihm durchgekämpft hatten. Dann würde der Kämpfer sich wahrscheinlich zurückziehen, um seinen Herrn zu verteidigen. Guy de Montfort war ziemlich hilflos, bis ein Ersatzpferd eintraf.
Im Eifer des Gefechtes merkte Rüdiger nicht, dass er in eine Fußtruppe hineingeriet. Er erkannte seinen Fehler erst, als sie ihn mit Spießen attackierten – und entblößte seine seitliche Deckung, als er versuchte, sie abzuwehren. Einer der Ritter Montforts traf ihn mit der Breitseite seines Schwerts, was reichte, ihn aus dem Sattel zu werfen. Mitten hinein in einen Hexenkessel aus Spießen, Knüppeln und Messern …
Sophia schrie auf, als sie Rüdiger fallen sah, Geneviève fuhr zusammen, als hätte es sie selbst getroffen.
»Ihm muss einer helfen, warum hilft ihm denn keiner?«, rief Ariane.
Sie sah erschrocken zu Hansi auf, der einen Pfeil nach dem anderen in die Menge des Fußvolkes verschoss. Er traf zweifellos, richtete aber kaum etwas aus. Hier hätten nur zwei oder drei Panzerreiter helfen können, die das Fußvolk auseinandertrieben. Dietmar und einige andere kämpften sich auch schon vor, aber sie waren zu weit entfernt. Sie würden es nie schaffen.
Geneviève hatte bis jetzt keinen Ton von sich gegeben. Mit schneeweißem Gesicht, aber zielsicheren Bewegungen näherte sie sich der Mangonel.
»Ablenkung«, sagte sie dann. »Eine Kugel mitten ins Geschehen.«
»Aber wir könnten unsere eigenen Leute …« Der Kanonier zauderte.
»Lasst mich!« Geneviève trat an das schon geladene Katapult. Sie brauchte nur wenige Augenblicke, um sich zu orientieren und ihre Erinnerung an das kleine Modell auf die große Mangonel zu übertragen. »Ariane, hilf mir!«
Das jüngere Mädchen war an dem Miniaturkatapult eine gute Schützin gewesen. Jetzt half es Geneviève, die schwere Kriegsmaschine zu justieren. Miriam und Sophia hasteten zu ihnen und unterstützten die beiden, dann betätigte Geneviève mit Abrams und Esclarmondes Hilfe die Winde, die den Hebel zurückzog. Damit würde sie die Flugweite des Geschosses beeinflussen. Geneviève brauchte nur Minuten, um ihre Berechnungen anzustellen, aber für Rüdiger mussten sie sich zu Stunden dehnen.
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