Das Erbe der Pilgerin
einmal Bauchschmerzen kurieren oder Erkältungen. Kinder behandeln oder auf die Welt holen. All dieses Blut, ich habe genug davon …«
Aber dann beugte er sich doch voller Konzentration und Mitgefühl über Rüdiger. Der Ritter stöhnte, als Salomon seine Brust abtastete und seinen Schwertarm anhob.
»Dies ist nicht das Ergebnis ritterlichen Kampfes«, sagte er schließlich. »Was habt Ihr gemacht, Rüdiger? Habt Ihr Euch geprügelt?«
Rüdiger versuchte zu sprechen, aber seine Lippen waren zu angeschwollen und aufgeplatzt.
Schließlich erzählte Geneviève.
Der Medikus nickte. »Die Kerle haben Euch die Rippen gebrochen und den Arm. Ich hoffe, keine der Rippen ist in die Lunge eingedrungen. Ihr müsst nun ganz ruhig liegen, damit das nicht noch passiert. Ich mache Euch einen Stützverband. Außerdem seid Ihr übersät mit Blutergüssen, und es gibt ein paar Stichwunden. Aber keine dieser Verletzungen ist tödlich. Wir müssen nur aufpassen, dass sich die Wunden nicht entzünden. Ihr braucht Ruhe und Wärme. Den Arm werde ich schienen, aber ich sage Euch gleich, Rüdiger – Eure große Zeit als Ritter ist vorbei. Vielleicht werdet Ihr wieder ein Schwert führen können, aber niemals mehr so geschickt wie bisher.«
»Er wird nicht sterben?«, fragte Geneviève.
»Ich hoffe nicht. Aber wer kennt die Wege des Ewigen? Ein Gebet wird sicher nicht schaden.« Der Medikus lächelte müde.
Geneviève senkte die Augen. »Gott wird auf mich nicht hören«, flüsterte sie.
Der Arzt seufzte. »Gott ist mitunter sehr langmütig, nur leider nicht immer. Vorerst hast du sowieso anderes zu tun. Wir werden seine Wunden mit Wein auswaschen. Ich werde eine Salbe auftragen, die hoffentlich verhindert, dass Wundbrand ausbricht, dann legen wir einen Verband an. Das alles muss von nun an täglich geschehen. Ganz sicher ist man nie, Geneviève. Aber ich tue, was ich kann, und du wirst mir helfen, nicht wahr?« Geneviève nickte tapfer. »Du wirst ihn dazu allerdings anfassen müssen«, bemerkte der Arzt, als sie ihm ungeschickt die Schüssel mit warmer Seifenlauge hinhielt, die eines der Mädchen gebracht hatte. »Heb seinen Arm an, vorsichtig, tu ihm nicht weh … jetzt reinige seine Brust.«
Geneviève zuckte zurück, als sie Rüdigers Körper berührte. Man hatte ihr so lange eingebläut, dass dies falsch war. Überrascht stellte sie fest, dass seine Haut sich warm anfühlte und fest.
»Nun mach schon, er ist nicht aus Zucker!«, mahnte der Medikus. »Du musst mir gleich auch helfen, ihn zu verbinden. Oder soll ich einen der Bader holen? Rüdiger lässt es sich sicher lieber von dir gefallen …«
Rüdiger versuchte, unter Schmerzen zu lächeln, als Geneviève den Anweisungen des Medikus zaghaft nachkam.
»Sie wird es schon noch lernen«, sagte Salomon leise zu seinem Patienten, als er sein Werk endlich beendet hatte – und so tat, als sähe er nicht, dass Geneviève sehr schüchtern mit dem Finger über eine der wenigen unverletzten Stellen an Rüdigers Wange strich. »Sie hat immer schnell gelernt. Und ich kann Euch nur beglückwünschen. Und Euch danken. Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass irgendjemand sie auf die Erde zurückholt.«
Geneviève saß bei Rüdiger, als Dietmar und Sophia in den Rittersaal kamen. Der junge Ritter schlief, erschöpft von der Tortur der Behandlung.
»Wie kann er hier schlafen?«, fragte Dietmar. Nach der Schlacht herrschte das übliche Durcheinander. Die Verwundeten stöhnten und schrien, die Bader nahmen Amputationen vor, es stank nach Blut und Schweiß. »Gibt es keinen Platz, wo er es ruhiger hat?«
Bisher hatten Dietmar und Rüdiger in den Gemeinschaftsunterkünften der Ritter geschlafen, aber da würde der Kranke auch kaum Ruhe finden.
»Frag Abram«, meinte Salomon erschöpft. »Und Miriam, die haben große Räume. Was meine angeht – sei mir nicht böse, Dietmar, aber wenn ich das hier geschafft habe, brauche ich ein bisschen Abgeschiedenheit. Ich bin all dessen hier so müde …«
»Abram und Miriam?«, fragte Geneviève misstrauisch.
Salomon rieb sich die Stirn. »Ayesha Mariam und Abu Hamed. Verzeih, dass mir zurzeit auch sämtliche maurischen Namen entfallen sind. Ich wate seit zehn Stunden im Blut, mir ist es heute egal, ob einer Jude ist oder Muselmann oder Christ oder Albigenser – ich danke nur dem Ewigen, dass mir wenigstens euer Diakon erspart blieb.«
Dietmar und die von den neuen Namen ebenfalls verwirrte Sophia machten sich auf den Weg zu den
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