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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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grün, sonst hätte das Mädchen nicht das mattgrüne Kleid gewählt.
    Es lag enger an als die weit fallenden Gewänder, die Dietmar von den älteren Frauen am Hofe gewöhnt war. Aber doch, jetzt erinnerte er sich, er hatte auch schon junge Mädchen gesehen, die sich an dieser neuen, gewagteren Mode versuchten. Die weiten Ärmel des Kleides fielen sicher über die Hände der jungen Frau, wenn sie die Arme herabhängen ließ, aber jetzt, da sie betete, gaben sie zarte, lange Finger frei – bestimmt vormochten sie die Laute zu schlagen …
    Dietmar konnte nicht umhin, sich vorzustellen, dass diese Finger über seine Hand strichen … und seine Lippen ihre Hände berührten … Er errötete – und dann sah das junge Mädchen auf. Einen Herzschlag lang traf ihr Blick den seinen, dann senkte sie die Augen wieder. Aber für Dietmar war es wie ein Blitzschlag, ein lidschlaglanges Eintauchen ins Paradies. Wer konnte das sein? Wie konnte er sich ihr nähern? Ob sie zum Bankett geladen war? Sie musste die Tochter eines der Ritter sein, die mit ihr in der Nische saßen. Oder seine Frau? Dietmar durchfuhr es eisig. Aber sie trug ihr Haar offen unter dem Schleier, ein schlichter Schepel hielt es zurück. Eine verheiratete Frau hätte es aufgesteckt und wahrscheinlich auch ein Gebende getragen. Nein, diese Schönheit musste unvermählt sein!
    In die Priester und Würdenträger am Altar kam nun endlich Bewegung. Aber Dietmar bemerkte gar nicht, dass der König niederkniete, um sich salben zu lassen. Er nahm nicht einmal die allgemeine Aufregung wahr, als der Bischof schließlich die Krone auf Friedrichs Haar setzte. Das Einzige, was er sah, war das junge Mädchen, das nun interessiert nach vorn blickte. Es lächelte, als der König sich mit der Krone auf dem Haupt erhob, der Anblick schien ihm zu gefallen. Dietmar wünschte sich zum ersten Mal in seinem Leben an die Stelle des Prinzen Ludwig – oder gleich an die eines Königs. Dann könnte er um die Schöne werben – den Antrag eines Königs konnte ihr Vater nicht ablehnen. Und wahrlich, auf das Haupt dieser Frau gehörte eine Krone!
    Der Ritter neben ihm musste Dietmar schließlich anstoßen, als es Zeit wurde, zum Empfang der Hostie nach vorn zu gehen. Das Mädchen hatte sich vorher schon erhoben – es war zierlich, aber hochgewachsen, eine majestätische Erscheinung. Wobei Dietmar nichts anderes erwartet hätte. Er …
    »Bist du hier angewachsen?«, zischte sein Nebenmann ihm zu. »Festgefroren oder gelähmt ob der langen Untätigkeit? Komm jetzt, die Krönung ist vorbei. Wir empfangen die Hostie, und dann können wir endlich raus!«
    Dietmar hätte den Rest seines Lebens auf der Kirchenbank verbringen können. Während der Chor der Mönche noch einmal das Lob Gottes anstimmte und der Bischof schließlich den Segen über alle sprach, dachte er darüber nach, ein Lied für dieses Mädchen zu schreiben. Er war kein Troubadour, aber erstmalig wünschte er sich, einer zu sein. Ein Sänger, ein Prinz, ein König – irgendjemand, dem dieses Mädchen mehr Aufmerksamkeit schenken würde als einen flüchtigen Blick.
    Am Abend der Krönung wurde natürlich in ganz Mainz gefeiert. Der Saal des Bischofs fasste zwar nur die wichtigsten Gäste, aber ihre Ritter wurden in Seitengebäuden bewirtet, und für die weniger wichtigen Besucher und Turnierteilnehmer gab es Küchen in der Zeltstadt, die rund um den Turnierplatz aufgebaut war. In der Stadt selbst waren Garküchen errichtet, es gab Brei und Brot und vor allem Fleisch für alle Bürger bis hin zum ärmsten Bettelmann. Dazu wurden Bier, Wein und Branntwein ausgeschenkt, so viel man nur fassen konnte. Dietmar konnte das alles jedoch nicht recht genießen. Er nippte nur am Wein und nahm halbherzig von den erlesenen Speisen. In der Stadt und auf dem Turnierplatz war das Essen deftiger, da gab es am Spieß gebratene ganze Ochsen, keine goldgeschmückten Schwäne. Dietmar erhielt letztlich ein Lob von seinem Oheim Rüdiger.
    »Das ist vernünftig, dich vor dem Turnier nicht vollzuschlagen! Und erst recht nicht zu betrinken. Maßhalten gehört zu den wichtigsten Tugenden des Ritters …«
    Dietmar nickte, das hatte er schon oft gehört – sich bislang aber nicht immer daran gehalten. An diesem Tag jedoch dachte er nur an das junge Mädchen. Er hatte viele Stunden damit verbracht, die Gäste unauffällig zu mustern, die zum König geführt wurden und dem Bankett an seiner Seite beiwohnen durften. Die Schöne war nicht darunter – und

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