Das Erbe der Pilgerin
…«
Dietmar setzte seinen etwas kleinen, aber sehr kräftigen und antrittsstarken Rapphengst sofort neben Rüdigers Schimmel. »Du kennst sie? Woher? Warst du in Toulouse? Am Hof des Grafen? Ist sie …«
Rüdiger fasste sich an die Stirn und warf einen wachsamen Blick auf den Turnierplatz. Einer der Ritter hatte den anderen eben vom Pferd getjostet, und es sah nicht aus, als würde der folgende Schwertkampf lange dauern. Danach war er an der Reihe. Er lenkte seinen Schimmel langsam in Richtung der Schranken. Dietmar folgte ihm.
»Ich kenne sie nicht«, antwortete Rüdiger schließlich. »Sie … erinnert mich nur an jemanden – soweit ich das aus der Entfernung heraus sagen kann. Aber sie selbst habe ich sicher nie gesehen, und in Toulouse war ich auch nicht. Da bleibt man zurzeit besser weg, man weiß nie, wer sich gerade mit wem schlägt in diesem seltsamen Kreuzzug gegen die Albigenser.«
Dietmar brachte den Albigensern keinen Funken Interesse entgegen. »Und wer ist die Frau neben ihr?«, meinte er dann, obwohl er sich von Rüdiger keinerlei Aufklärung erhoffte. Selbst Dietmar hatte schon erkannt, dass der sich kaum für den Minnedienst erwärmte. »Sie wirkt irgendwie … sarazenisch …«
Rüdiger grinste, wählte jetzt aber bereits eine Lanze. Er musste gleich gegen einen Herrn Alarich von Bernau, der allerdings noch mit seinem ungebärdigen Scheckhengst kämpfte, in die Schranken reiten. Ein sehr junger Ritter, es konnte nicht schwer sein, ihn zu schlagen.
»Das«, sagte er nun lächelnd, »ist Miriam. Das heißt, nein, zurzeit ist es die Sayyida Ayesha Mariam al Moxacar, Maurin und Sterndeuterin des Grafen von Toulouse. Wobei ich sie als Miriam von Wien kennenlernte, die angeheiratete Nichte des Medikus.«
»Des jüdischen Medikus?« Jetzt endlich hatte der Oheim Dietmars Aufmerksamkeit. »Der meinen Vater unterrichtet hat?«
Rüdiger nickte, aber nun hatte er wirklich keine Zeit mehr, die Fragen seines Neffen zu beantworten. Nachdem der Herold seinen Namen genannt hatte, sprengte er neben seinem Konkurrenten vor den Baldachin des Königs, um die Hohen Herren und Damen zu grüßen – wobei er Dietmars Schwarm nun kurz, aber von Nahem mustern konnte. Doch, ein wunderschönes junges Mädchen, das ihn ganz klar an jemanden erinnerte. Es saß zwischen Miriam und einer älteren Frau, die sich allerdings eben umwandte und albern kichernd auf den Abtritt verabschiedete. So kurz vor einem Tjost war das unhöflich, und die Königin runzelte die Stirn. Desgleichen das blonde junge Mädchen. Gut erzogen schien es also zu sein.
Rüdiger riss sich los und ritt an sein Ende der Schranken, um dort auf das Zeichen des Herolds zum Anritt zu warten. Sein Schimmel, ein kampferprobtes Pferd, wartete geduldig ab, bis es so weit war, während sein Gegner seinen Schecken nach wie vor nicht bändigen konnte. Das hinderte ihn natürlich auch daran, ordentlich die Lanze einzulegen oder gar zu zielen. Rüdiger warf ihn gleich mit seinem ersten Stoß vom Pferd.
Hansi zwinkerte seinem Herrn zu, als er ihm danach den Hengst abnahm. »Mit dem Schwert ist der Kerl ein bissel besser«, raunte er ihm dabei zu. »Wenn auch keine Gefahr.« Hansi hatte den jungen Rittern wohl schon beim Üben zugesehen. Er selbst war ein hervorragender Reiter und inzwischen auch guter Schwertkämpfer – um hier mitzukämpfen fehlte ihm allerdings der Ritterschlag.
»Das sollte er, schließlich hat er seine Schwertleite doch wohl schon gefeiert«, brummte Rüdiger.
Er stellte sich dem jungen Ritter zum Kampf entgegen. Gutmütig ließ er ihn zunächst ein paar Punkte machen, bevor er ihm das Holzschwert mit einer raschen Bewegung entwand.
»Zum Sieger dieses Treffens erkläre ich Herrn Rüdiger von Falkenberg«, verkündete der Herold.
Rüdiger verneigte sich noch mal vor dem König. Er würde später gegen weitere Ritter in die Schranken reiten – der Gesamtsieger des Turniers würde erst in zwei Tagen feststehen. Die Regeln waren ein schlichtes Ausschlussverfahren. Die Kampfpaare wurden ausgelost, wer verlor, war aus dem Rennen, der andere eine Runde weiter. Rüdiger nahm allerdings an, dass die Herolde auch in diesem Turnier das Losglück etwas manipuliert hatten. Wie fast immer kämpften an diesem ersten Tag mehr junge Ritter miteinander als erfahrene Kämpen. Damit hatten auch die Anfänger die Chance, sich im Wettbewerb um den Tagessieger zu platzieren und dafür reich beschenkt zu werden. Für viele Fahrende Ritter hing ihre Existenz
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