Das Erbe der Pilgerin
gehorsam und ganz sicher nicht devot – die Eigenständigkeit von Okzitanien war ihm und vielen anderen südfranzösichen Adelsgeschlechtern heilig. Allerdings hatte er den König im Kampf gegen die Plantagenets schon aus eigensüchtigen Gründen unterstützt – und wehrte sich nicht allzu sehr gegen Abgaben. Auch dank der Albigenser waren seine Besitzungen reich.
Roland warf seinem Freund einen neidischen Blick zu und dachte kurz darüber nach, es ihm irgendwie gleichzutun. Leider hatte er keinerlei Bezugspunkte zum französischen Hof. Im Gegenteil, sein Erzfeind Rüdiger würde für den König in die Schranken reiten! Weshalb Roland auch unbedingt kämpfen wollte – die Sache mit Lauenstein konnte er dem König ebenso gut später vortragen. Roland verdünnte seinen Wein mit Wasser. Er durfte sich nicht zu sehr betrinken, nicht dass er womöglich Rüdiger unterlag!
»Aber wenn du willst, nehm ich deine Weiber mit rauf.«
Raymonds Stimme klang schon etwas nebulös, aber Roland merkte auf. Er erfasste sofort die Möglichkeiten, die ein Turniertag mit dem König für die Lauensteiner Sache bot. Luitgart könnte der Königin ihre Version der Erbangelegenheit vortragen! Wenn sie sich mit dem Wein zurückhielt, verstand sie durchaus artig zu argumentieren. Und ansonsten: Das halbe Bistum würde Zeuge sein, wie seine verfemte Tochter vor dem König knickste …
Roland grinste. »Ob ich will, mein Freund? Und ob ich will!« Er schlug dem Grafen auf die Schulter. »Ich besteh allerdings darauf, dass du mir das Mädchen unangetastet zurückbringst! Auch wenn’s schwerfällt! Du wirst sie halten, wie … wie eine eigene Tochter …« Er hielt Raymond de Toulouse in gespieltem Ernst die Hand hin. Der Okzitanier schlug ein.
»Versprech ich …«, lallte er. »Aber du verstehst – sollte der König Ansprüche anmelden … Da gibt’s doch so was wie das Recht auf die erste Nacht …«
Die Männer lachten und hoben noch einmal die Becher. Auf den König, auf ihre Freundschaft – und auf die Unschuld der Sophia von Ornemünde.
Kapitel 5
A nscheinend gehört sie zum Grafen von Toulouse«, meinte Dietmar aufgeregt. Er konnte sich kaum darauf konzentrieren, sein Pferd warm zu reiten, hatte er doch eben die junge Schönheit aus dem Dom wiedergesehen. Diesmal saß sie unter dem Seidenbaldachin, unter dem auch der König auf erhöhtem Sitz Platz genommen hatte. Und ihr Anblick hatte ihm erneut fast die Sinne geraubt. »Seine Tochter vielleicht …«
»Könnte sein«, meinte Rüdiger beiläufig und ließ seinen Hengst auf der Hinterhand wenden. »Von einer der ersten Frauen vielleicht. Der Graf hatte ja schon etliche …«
Im Grunde brachte der Ritter der Schwärmerei seines Neffen wenig Interesse entgegen – zumindest nicht jetzt, so kurze Zeit vor dem ersten Tjost in diesem Turnier. Rüdiger brachte für den ritterlichen Frauendienst ohnehin wenig Leidenschaft auf. Es erschien ihm verlorene Zeit, eine Minneherrin jahrelang zu umgarnen, bevor sie ihn vielleicht für eine Nacht erhörte – was obendrein selten der Fall war. Dazu mit Risiken behaftet, die Frauen waren ja meistens vermählt. Und die Werbung um ein Mädchen, das sich zur Herrin von Falkenberg eignete, schob er vorerst auch noch hinaus. Ihm gefiel sein freies Leben – wenn es ihn nach Liebe gelüstete, fanden sich immer hübsche Bauernmädchen oder Marketenderinnen, die ihm für ein Geschenk oder ein paar Pfennige ihre Gunst gewährten.
So ließ Rüdiger sein Pferd auch ziemlich lustlos hinter Dietmar, der seinen Rappen Gawain nun unbedingt in der äußersten Ecke des Abreiteplatzes aufwärmen musste, hersprengen. Sie bot einen Seitenblick auf die Königsloge, und sein Neffe konnte kaum den Blick davon lassen. Rüdiger hätte lieber den anderen Rittern zugesehen, um ihren Umgang mit den Pferden zu taxieren. Aber ein wenig neugierig machte ihn die Sache doch: Welches Wunderkind mochte Dietmar wohl derart bezaubert haben, dass er fast vergessen hätte, das Zeichen der Madame de Maricours an seiner Lanze zu befestigen? Schließlich erspähte Rüdiger ein zierliches junges Mädchen in dunkelroter Robe, das für ihn allerdings gegen die exotische Edeldame abfiel, die neben ihm saß und eben angeregt mit dem König plauderte.
»Ist sie nicht engelsgleich?«, murmelte Dietmar.
Rüdiger verdrehte die Augen. »Du fällst noch vom Pferd!«, neckte er seinen Neffen. »Und … ja, sie ist hübsch.« Er runzelte die Stirn. »Wobei sie mir irgendwie bekannt vorkommt
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