Das Erbe der Pilgerin
von diesen Zuwendungen ab, Rüdiger gönnte sie ihnen von Herzen.
Nun verfolgte er aber erst mal Dietmars ersten Kampf. Der junge Mann hatte bislang nur in einem Turnier gekämpft, dem Wettbewerb anlässlich seiner Schwertleite. Dementsprechend aufgeregt war er.
»Ach, Schmarrn, der hat doch nur das Mädel im Kopf!«, lachte dagegen Hansi, als Rüdiger entsprechende Befürchtungen äußerte. »Heut Morgen trieb er sich vor Tau und Tag auf den Übungsplätzen rum, falls die Schöne vielleicht unter Schlaflosigkeit leidet, oder was ein junges Mädchen sonst bewegen sollte, drei Stunden vor Turnierbeginn seinen Platz unter dem Ehrenbaldachin aufzusuchen. Vielleicht hätte sie ja einen Bruder, dem sie Glück wünschen müsste oder dergleichen, meinte er. Wobei er natürlich an einen Liebsten dachte – anscheinend das Einzige auf der Welt, was Dietmar von Ornemünde zurzeit fürchtet.«
Rüdiger griff sich an die Stirn. »Ein Mädchen von Adel, das unbewacht die Turnierplätze stürmt. Der Junge ist wirklich nicht bei sich. Man kann nur hoffen, dass er seinen Gegner nicht glatt übersieht!«
Damit unterschätzte Rüdiger Dietmar natürlich maßlos. Tatsächlich wirkte der Anblick der Blonden eher beflügelnd auf den jungen Ritter – zumal sie sein Lächeln erwiderte, als er das Visier hob, um zu grüßen. Natürlich hatte sie gerade auch nichts anderes zu tun. Die »Maurin«, die Rüdiger so seltsam beschrieben hatte, war nicht anwesend, sie kümmerte sich wohl um die ältere Frau, der nicht gut zu sein schien – Dietmar sah aus dem Augenwinkel, dass sie sich hinter dem Zelt übergab. Das junge Mädchen saß also allein zwischen zwei leeren Schemeln. Es trug wieder seinen grünen Schleier, aber diesmal ein mit grünen Edelsteinen besticktes dunkelrotes Kleid über einem weißen Unterkleid aus Leinen – und nun erkannte Dietmar auch die Augenfarbe: waldgrün … oder nein, jetzt, da das Lächeln seine Augen aufleuchten ließ, eher grüngolden …
»Herr Dietmar …«
Die Stimme des Herolds klang vorwurfsvoll. Dietmars Gegner hatte sein Pferd längst in Gang gesetzt. Erschrocken trieb der junge Ritter nun auch seinen Hengst an. Gawain war ein Pferd aus der Zucht seines Pflegevaters. Dietmar hatte ihn schon als Fohlen betreut, er vertraute dem vielleicht etwas unscheinbaren, aber äußerst zuverlässigen jungen Rappen. Und nun würde er für seine Dame in die Schranken reiten!
Dietmars Herz klopfte heftig, als er sein Pferd in Position brachte und die Lanze einlegte. Entschlossen stemmte er die Füße in die Steigbügel, ließ Gawain die Zügel schießen und fixierte den angaloppierenden Gegner. Seine Lanze traf genau …
»Donnerschlag!«, murmelte Hansi am Rand der Bahn seinem Herrn zu. »Wenn die scharf gewesen wäre, der Kerl wär tot!«
Das mochte stimmen. Zum Turnierkampf wurden die Lanzen mit dickem Lederschutz versehen. Wäre das hier nicht der Fall gewesen, hätte Dietmars Stoß den Hals des Gegners durchschlagen. Aber auch so hatte es schon gereicht, um den jungen Herrn Isidor von Radezell kampfunfähig zu machen. Der Ritter keuchte und hustete, sein Knappe musste ihm aufhelfen und ihm den Helm abnehmen, damit er Luft bekam.
Dietmar war dies sichtlich unangenehm. Er ließ sich vom Pferd gleiten und erkundigte sich besorgt nach dem Befinden seines Gegners. Der wehrte jedoch ab. Der Stoß hatte ihm kurz Sprache und Atem verschlagen, aber ernstlich verletzt war er nicht. Dietmar strahlte also wieder, als er vor dem König – und seiner Dame – Aufstellung nahm. Leider nahm das junge Mädchen diesmal wenig Notiz von ihm. Die Maurin kam eben mit der älteren Frau zurück unter den Baldachin, und die Jüngere sprach auf sie ein – dabei wirkte sie unglücklich und beschämt. Auch der Graf schien verstimmt. Prinz Ludwig jedoch applaudierte Dietmar begeistert und wechselte ein paar Worte mit dem König, in dessen Nähe er saß. Friedrich schenkte Dietmar daraufhin ein huldvolles Nicken. Zu anderen Zeiten hätte das den jungen Ritter tagelang mit Stolz erfüllt. Nun hatte er jedoch nur Augen für das junge Mädchen – dem sein Sieg entgangen zu sein schien. Dietmar wirkte niedergeschlagen, als er zurück zu den Ställen ritt.
»Sie sieht dich ja später noch einmal!«, lachte Rüdiger, als er das sauertöpfische Gesicht seines Neffen sah. »Potz Blitz, so wie du über den Platz gefegt bist, sieht sie dich wahrscheinlich noch bis in die letzte Runde! Ich sag nichts mehr gegen das Mädel, Dietmar. Was deine
Weitere Kostenlose Bücher