Das Erbe der Pilgerin
brannten die Damen des christlichen Adels meist nur so darauf, die »Heiden« kennenzulernen, die ihre Ritter bei Kreuzzügen abschlachteten, maurische und sarazenische Ritter empfing man auch gern zum Turnier. Miriam wunderte das immer wieder, aber an diesem Tag kam es ihr gelegen.
Schließlich richtete selbst der König das Wort an sie und erwies sich als durchaus gebildet im Bereich der Sternkunde. Miriam hätte sich gern im Gespräch mit ihm verloren, aber dann forderte die trinkfreudige Dame in des Grafen Gesellschaft wieder ihre Aufmerksamkeit. Und das junge Mädchen, das sich verzweifelt bemühte, seine Mutter davon abzuhalten, dem Wein weiter zuzusprechen. Miriam dauerte das hübsche junge Ding, das unter den anderen adligen Mädchen in diesem Bistum keine Freundinnen zu haben schien. Die Hofdamen der Königin kümmerten sich demonstrativ nicht um die Frauen im Gefolge des Grafen, und was den örtlichen Adel anging, so schien da etwas gegen den Gatten und Vater der beiden vorzuliegen. Jedenfalls tuschelte man hinter seinem Rücken.
Zur Mittagszeit gab Miriam es schließlich auf, die Mutter im Zaum halten zu wollen. Sollte sich der Graf um sie kümmern – wenn sie nicht ohnehin bald einschlief. Miriam hatte es jedenfalls gereicht, ihr den Kopf halten zu müssen, während sie einen Teil des genossenen Weines wieder von sich gab. Zur Kräuterfrau oder Ärztin war die Astrologin nicht geschaffen, vor Kot und Erbrochenem ekelte sie sich.
Auch das junge Mädchen hatte sich jetzt von seiner Mutter getrennt. Es versuchte, mit einem der anderen Edelfräulein ein Gespräch zu beginnen – es ging um ein Kloster, wahrscheinlich hatten die beiden dort zusammen die Schule besucht – es wandte sich allerdings gleich ab. Die zierliche Blonde schien den Tränen nahe. Miriam ging zu ihr.
»Kommt«, sagte sie freundlich. »Ihr habt doch noch gar nichts gegessen. Wartet, wir holen uns etwas Braten und Wein. Wie ist es, würde ein Taubenbrüstchen Euch munden?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Danke, edle Dame. Aber ich habe keinen Appetit. Hier … es starren mich alle an. Habt Ihr nicht auch das Gefühl, Herrin, dass mich alle anstarren?«
Miriam schaute um sich. Natürlich folgten dem jungen Mädchen bewundernde Blicke. Es war deutlich die schönste unter den anwesenden Jungfrauen – wobei dem Turnier nicht viele Damen vorsaßen. In Mainz herrschte neben dem Fürstbischof ein Patriziat reicher Kaufleute. Burgen gab es im näheren Umkreis kaum, die meisten Adligen, die zu den Krönungsfeierlichkeiten angereist waren, kamen von weiter her. Nur wenige hatten ihre Frauen und Töchter mitgebracht, der Bischofspalast galt nicht gerade als Heiratsmarkt. Allerdings wäre die hübsche Blonde auch in einer größeren Gruppe Edelfrauen aufgefallen. Sie hätte jede andere ausgestochen, hätte sie nicht gar so unglücklich dreingeschaut.
Miriam lächelte aufmunternd. »Die Herren können sich nicht sattsehen an Euch«, meinte sie dann. »Aber daran müsst Ihr doch gewöhnt sein. Und die Damen … das ist pure Eifersucht, achtet gar nicht darauf.«
»Aber ich hasse das!«, brach es aus der Jüngeren heraus. »Die einen schauen mich lüstern an und die anderen hämisch. Ich … ich … am liebsten wäre ich hässlich wie eine Maus …«
Miriam legte den Arm um sie. »Kleines, Mäuse sind eigentlich ganz niedlich, die schaut nur keiner an, weil sie grau sind. Und Euch machen wir jetzt auch unsichtbar. Kommt mit, im Stallzelt wartet mein Maultier. Und in den Satteltaschen ruht mein grauer Reiseschleier. In meinem Land ist es Sitte, dass Damen sich gänzlich verschleiern, wenn sie in die Öffentlichkeit treten. Ich finde es ja zur Abwechslung ganz schön, mich zu zeigen, aber wenn es Euch gefällt, Euch zu verhüllen – dann werden sich anschließend die Sayyida Mariam und die Sayyida … Wie heißt Ihr eigentlich, Kind?«
»Sophia«, murmelte das junge Mädchen.
»… die Sayyida Sophia auf einen Rundgang über den Turnierplatz begeben, die schönsten der Ritter lüstern mustern und sich an den Garküchen die Bäuche vollschlagen.«
Miriam zog Sophia entschlossen aus dem Zelt des Königs. Das Mädchen lächelte schüchtern – und selbst Miriam meinte, die Sonne aufgehen zu sehen. Auf einen jungen Ritter musste dieses Lächeln unwiderstehlich wirken. Obendrein schien Sophia überaus sanft und tugendhaft. Ihr Vater, wer immer es war, musste sich schon einiges an Verfehlungen geleistet haben, wenn die Bewerber um die
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