Das Erbe der Pilgerin
Kronprinz Ludwig sei auf der Burg eingetroffen.
»Der Prinz?«, fragte Rüdiger verwundert. »Der soll uns allein gegen England führen? Also nicht, dass er es nicht könnte …«
Rüdiger schätzte den Prinzen als ordentlichen Kämpfer und sehr guten Strategen. Aber bislang wachte König Philipp äußerst besorgt über Leben und Sicherheit seines Erben.
»Es heißt, es ginge nun doch nicht gegen England«, meinte der Ritter, der Rüdiger und Dietmar die Nachricht überbracht hatte. »Aber Ihr werdet es gleich selbst erfahren, Herr Rüdiger. Der Prinz bittet Euch und Eure Ritter um eine Besprechung. Ihr möchtet bitte gleich in den Palast kommen.«
Rüdiger lächelte. Ludwig brauchte das nicht zu präzisieren, es war eindeutig, dass er plante, die Gruppe junger Ritter um sich zu scharen, die auch in Paris zu seinen Vertrauten gehört und seine Eskorte nach Mainz gebildet hatten.
Tatsächlich begrüßte der Prinz sie dann herzlich, fast eher wie Freunde denn wie Kampfgefährten.
»Ich habe Euch vermisst!«, erklärte er lächelnd und ließ Wein ausschenken. »Umso glücklicher bin ich, Euch jetzt bei mir zu haben, wenn es darum geht, mein Erbe zu verteidigen.«
»Euer Erbe, Sire?«, erkundigte sich Rüdiger.
Ludwig nickte strahlend. »Ja. Es wird keinen Feldzug gegen Johann Ohneland geben«, gab er zurück, wohl bewusst den herabsetzenden Spitznamen für König Richards Bruder wählend. »Der Kerl hat mal wieder einen Rückzug gemacht und sein Fähnchen nach dem Wind gehängt. Kurz gesagt, er unterwarf sich mit allem Pomp dem Papst, schwor Reue und erbat Vergebung … nun ja, jedenfalls darf er sein Land noch ein bisschen behalten. Wir dagegen ziehen nach Flandern. Dieser Ferrand legt schon wieder die Hand auf das Artois, dabei gehört es mir …«
»Ich dachte, das hättet Ihr dem Herrn bereits eindringlich klargemacht.« Rüdiger zwinkerte Ludwig zu. Zwischen dem Prinzen und Ferrand hatte es im letzten Jahr schon einmal gehörigen Ärger gegeben. Ludwig hatte den Grafen gefangen genommen, als der seine junge Frau nach Flandern bringen wollte. Nach einigem Gerangel hatte Ferrand dann auf das Artois verzichtet, auf das Ludwig als Erbe seiner Mutter, Ferrand als Gatte der Gräfin Johanna Anspruch erhob. Sehr ernst schien er das allerdings nicht gemeint zu haben. Jetzt saß er erneut in Flandern und weigerte sich, den Heerzug nach England zu unterstützen, obwohl er König Philipp waffenpflichtig war. Und der hatte nun dem Drängen seines Sohnes nachgegeben: Ludwig dürfte sein Heer nach Flandern führen, um den aufrührerischen Grafen endgültig in seine Schranken zu verweisen.
Rüdiger empfand das als klugen Entschluss. Dieser Feldzug war nicht übermäßig gefährlich, aber Ludwig würde Erfahrungen sammeln. Und mit ihm Dietmar. Der Falkenberger atmete auf, als er sie gleich darauf gemeinsam den Abzug des Heers aus Boulogne planten.
Der Sommer 1213 verging mit dem Kampf gegen Ferrand, und wie Rüdiger gehofft hatte, schlug Ludwig sich siegreich. Der Prinz erwies sich als besonnener und begabter Schlachtenlenker, der wusste, wo er welche Heeresteile möglichst effektiv und ohne größere Verluste einsetzen konnte. Er machte das besser als sein Vater. Rüdiger dachte oft darüber nach, dass er es Richard Plantagenet schwerer gemacht hätte, seine Ländereien auf dem Kontinent zurückzuerobern und zu halten.
Dietmar von Ornemünde kämpfte tapfer und konnte sich oft auszeichnen. Auch er zeigte sich strategisch gewandt und beherzt, aber nicht fahrlässig, als Ludwig ihm die ersten Kommandos übertrug. Dabei verbrachte er die Nächte nach wie vor damit, Lieder und Gedichte für Sophia von Lauenstein zu schreiben, deren Zeichen er immer noch bei sich trug. Er übte sich auch im Lautenspiel, was ihn manchmal etwas einsam machte.
»Das kann sich nun wirklich niemand anhören«, maulte ein junger Ritter, mit dem er das Zelt teilte, nachdem Rüdiger ihn für den Rauswurf seines Neffen gerügt hatte. »Ich bin geduldig, aber ich bin nicht taub – wobei ich für Herrn Dietmar nur hoffen kann, dass seine Liebste über kein allzu gutes Gehör verfügt. Das wird sonst nie etwas mit seiner Werbung.«
Dietmar übte also außerhalb des Lagers und brachte es zu unstreitigem Ruhm, als er eines Tages über einen Erkundungstrupp des Feindes stolperte und die Ritter im Alleingang niedermachte.
»Wahrscheinlich hat’s gereicht, dass er die Laute spielte«, grinste sein Mitbewohner. »Wir sollten ihn demnächst damit dem
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