Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
gleiten. Zu gern hätte Bayard noch mehr Einzelheiten erkannt, doch er wagte nicht, sich zu bewegen. So presste er sich dicht an den kalten Stein und hoffte, die anderen wären klug genug, sich ruhig zu verhalten. Der Gleitflug führte die Echse zunächst von der Felswand fort, doch dann streifte sie so nahe vorbei, dass er sogar die beiden Reiter auf ihrem Rücken erkennen konnte.
Nach einer Zeit, die dem Heermeister wie eine Ewigkeit vorkam, flog der Lagar schließlich davon. Als der Flügelschlag verklang, kehrten die Geräusche der Nacht schlagartig zurück. Der Wind lebte wieder auf, und der ferne Wasserfall rauschte, als wäre nichts geschehen. Hinter den Felsen regten sich die kauernden Gestalten, doch die Furcht hielt sie noch immer fest im Griff, und lange Zeit wagte niemand zu sprechen.
Ajana war die Erste, die ihre Stimme wieder fand. »Was war das?«, flüsterte sie Keelin zu, der neben ihr im Schatten eines Felsens kauerte.
»Ein Lagar!« antwortete der Falkner, ohne den Blick vom Himmel im Westen abzuwenden.
Ajana erschauerte. Schon in der Festung hatte sie von den Lagaren gehört, doch eine der gefürchteten Echsen mit eigenen Augen zu sehen übertraf selbst ihre schlimmsten Erwartungen.
»Er trug zwei Späher!« Bayard richtete sich auf. »Und sie waren nicht zufällig hier.«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Ajana.
»Die Uzoma sind Krieger«, erklärte Bayard und trat auf Ajana zu. »Von unseren Gefangenen wissen wir, dass sie einem Herrscher folgen, dem alle Stammesfürsten ergeben sind. Man sagt, er habe eine mächtige Magierin an seiner Seite. Sie soll eine Dienerin des dunklen Gottes sein, vor dem unsere Väter einst nach Nymath flohen. Ohne ihre Hilfe wäre es den Uzoma niemals gelungen, die Lagaren zu zähmen.« Er spie verächtlich auf den Boden. »Möge sie auf ewig in Fuginors Feuern brennen«, fluchte er. »Es sieht ganz so aus, als wüsste sie, dass wir hier sind. Deshalb hat sie die Späher gesandt.«
»Haben sie uns gesehen?«, wollte Ajana wissen.
»Das wissen allein die Götter. Sicher ist nur, dass die Uzoma in der Dunkelheit sehr viel besser als wir Menschen sehen können«, erwiderte Bayard ausweichend und fügte zynisch hinzu: »Aber keine Sorge. Wenn man uns entdeckt hat, werden wir es bald zu spüren bekommen.« Er hob sein Bündel vom Boden auf und wandte sich den anderen zu, die herangekommen waren und seinen Worten schweigend lauschten. »Wir werden bei jeder Rast zwei Wachen aufstellen«, kündigte er an. »Ursprünglich wollte ich hier im Schutz der Felsen rasten, doch jetzt halte ich es für sicherer, wenn wir noch eine Weile nach Osten marschieren, bevor wir das Nachtlager aufschlagen.«
Niemand erhob Einwände.
Bayard führte die Gruppe eine lange Wegstrecke nach Osten und forderte seine Gefährten unablässig auf, die Augen offen zu halten. Der Anblick des Lagaren hatte eine düstere Vorahnung in ihm geweckt, und er fürchtete, dass man ihnen folgte. Doch obwohl er sich häufig umdrehte und den Himmel nach den Umrissen der Flugechse absuchte, bemerkte er nichts von der dunklen Gestalt, die ihnen im Schutz der Felsen unauffällig hinterher schlich.
Sie schlugen ihr Lager in einer niedrigen Höhle auf, die Wind und Regen in eine Felswand gegraben hatten. Der überhängende Fels gewährte ihnen Schutz vor den Blicken fliegender Späher, und die Wände hielten den kalten Wind fern, der von den Bergen herab wehte. Während Salih und Cirdan die erste Wache übernahmen, rollten sich die anderen in ihre Umhänge und Decken und versuchten, auf dem felsigen Boden ein wenig Schlaf zu finden.
»Wie geht es Euch?« Kurz bevor er sich niederlegte, kam Bayard noch einmal zu Ajana.
»Ganz gut.« Das war bei weitem übertrieben, aber Ajana wollte nicht, dass die anderen das Gefühl bekamen, auf sie Rücksicht nehmen zu müssen, und versagte sich eine ehrliche Antwort. Zudem war es das erste Mal seit ihrem Aufbruch, dass der Heermeister sich nach ihrem Befinden erkundigte, und sie wollte nicht, dass er sie für schwach hielt.
»In Eurer Heimat schläft man wohl nicht unter freiem Himmel«, stellte Bayard fest.
»Nur wenn man will.« Die Gesprächigkeit des sonst so verschlossenen Mannes erstaunte Ajana. »Wir reisen auch anders«, fügte sie hinzu.
»Zu Pferd?«
»Manchmal ja.« Ajana bemerkte, dass Maylea dem Gespräch aufmerksam folgte. Hastig biss sie sich auf die Lippen und fragte schnell: »Wie weit ist es noch?«
»Wir werden unser Ziel morgen Abend
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