Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
Ajabani harrte noch mehrere Herzschläge lang in seinem Versteck aus, um sicher zu gehen, dass die Geräusche der aufschlagenden Körper keinen der Schlafenden geweckt hatten.
In der Höhle blieb alles ruhig.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über das sonnengebräunte Gesicht des Mannes, als er sich mit überheblicher Gelassenheit daran machte, auch den letzten Teil seines Plans in die Tat umzusetzen. Den kunstvoll verzierten Krummdolch in der Hand, verließ er die Deckung der schützenden Felsen und bewegte sich so geschmeidig und lautlos wie eine Raubkatze auf die Schlafenden zu. Innerlich frohlockte er; nur noch ein paar Schnitte, das Werk weniger Augenblicke, dann würde er mit seiner Gefangenen nach Udnobe zurückkehren.
Eine zerbrechliche Stille lag über dem Land. Kühler Wind strich von den Bergen herab und ließ den einsamen Wanderer frösteln, der sich nahe der Höhle in den Windschatten eines Felsens schmiegte.
Er wollte schlafen, doch irgendetwas riss ihn aus dem ersten Schlummer. Schlagartig war er hellwach. Sein Herz raste. Das Gefühl einer unmittelbaren Bedrohung schien fast greifbar in der Luft zu liegen. Verwirrt setzte er sich auf und warf einen Blick zur Höhle. Die beiden Wachen verhielten sich ruhig und unauffällig. Nichts deutete darauf hin, dass auch sie eine drohende Gefahr verspürten.
Plötzlich sank einer der beiden lautlos zu Boden. Kurz darauf erschlaffte auch der zweite Wachtposten und glitt am Fels hinab. Kein Laut kam über ihre Lippen. Sie sackten in sich zusammen wie die Fadenpuppen der Gaukler von Sanforan, wenn die Vorstellung endete. Der Wanderer richtete sich auf und spähte in die Dunkelheit.
Zwischen den Felsen entdeckte er eine huschende Gestalt, nicht mehr als ein Schatten, der sich geschmeidig wie eine Raubkatze auf die Höhle zubewegte. Etwas blitzte kurz im Mondlicht, dann war sie schon unmittelbar vor dem Eingang und schlich auf die schlafenden Krieger zu.
Der Wanderer hatte genug gesehen. Er sprang auf, löste die Waffe von seinem Gürtel und eilte sachte, aber mit langen Sätzen in Richtung der Höhle.
Vor den Schlafenden verharrte der Ajabani. Wie erwartet, lagerten die Frauen ein Stück weiter hinten in der Höhle und vor ihnen, nahe dem Eingang, die Männer. Ein Umstand, der ihm die Arbeit sehr erleichterte.
Die Stiefelsohlen aus weichem Leder verursachten auf dem Steinboden nicht das geringste Geräusch, als er vor den ersten Schlafenden trat und sich bückte, um das blutige Werk zu vollenden. Dabei fühlte er erneut das berauschende Gefühl der Macht in sich aufsteigen, das ihn immer dann durchströmte, wenn er über Leben und Tod entschied. Nicht Gold, Ruhm oder Gerechtigkeit lockten ihn, es war der Rausch, der ihn töten ließ, ob als gut entlohnter Auftrag – wie in diesem Fall – oder wie so manches Mal aus reiner Freude. Das berauschende Gefühl vor der Tat war ihm stets der größte Lohn.
Mit einer Hand ergriff er den Haarschopf des Schlafenden und führte die scharfe Klinge seines Krummdolchs blitzschnell über dessen Kehle. Der Mann, zweifellos ein Onur, riss erschrocken die Augen auf und öffnete den Mund, doch das Messer hatte ihm die Lebensader bereits durchtrennt. Ein Schwall dunklen Blutes ergoss sich aus den Mundwinkeln des Kriegers, dann erschlaffte der Körper, und das Licht in seinen weit aufgerissenen Augen erlosch.
Der Ajabani würdigte ihn nun keines Blickes mehr. Ein geübter Schnitt durchtrennte die Kehle eines weiteren Mannes. Schon kauerte er neben dem dritten Opfer, einem jüngeren Mann, dessen Kleidung keinen Zweifel daran ließ, dass es sich bei ihm um einen Kundschafter handelte. Er griff nach dessen Haaren und hob den Dolch zu einem erneuten Schnitt.
Faizah erwachte in einer Umgebung aus mildem Licht und samtenen Schatten. Vielleicht wäre sie nicht so schnell wieder zu sich gekommen, wären da nicht Hände gewesen, die sie sanft aus dem Schlummer rüttelten, und eine wohlklingende Stimme, die ihr zuflüsterte: »Wach auf. Du hast lange genug geschlafen. Komm schon, wach auf«
Widerstrebend rührte sich Faizah unter den weichen Decken, rollte sich auf den Rücken und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»So ist es gut.«
Faizahs Augen suchten diejenige, die das Wort an sie gerichtet hatte. Im ersten Augenblick fürchtete sie, den Häschern der Uzoma erneut in die Hände gefallen zu sein. Doch dann nahm sie eine junge Frau wahr mit langen, streng nach hinten geflochtenen schwarzen
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