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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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dennoch in sich trug: Gaelithils Erbe – das Erbe des Runenamuletts, die Kraft, die sie nach Nymath geführt hatte.
    »Tol enni iell«
    Ajana erschrak. Sie kannte die Stimme aus ihren Träumen; es war dieselbe Stimme, die das traurige Lied gesungen hatte. Damals waren ihr die Worte fremd gewesen, doch nun …
    » Toi enni iell – Komm zu mir, Tochter.« Die Sprache war Ajana plötzlich so vertraut, als hätte sie schon ihr Leben lang nichts anderes gesprochen.
    » Naneth – Mutter!«, gab sie wie selbstverständlich zur Antwort und spürte eine unbändige Freude in sich aufsteigen. Sie kehrte heim. Sie wurde erwartet und war willkommen. Sie war die verlorene Tochter, nach der man sich lange gesehnt und die endlich den Weg zurück zu ihren Wurzeln gefunden hatte. Nichts Böses lauerte hier, das ihr hätte schaden können. Sollten die Geister des alten Volkes doch zetern und klagen; sie konnten ihr nichts anhaben. Ajana spürte, wie sich ihr elbisches Erbe langsam entfaltete und den menschlichen Teil ihrer Seele immer weiter zurückdrängte, als wäre er nur Mittel zum Zweck, unnötiger Ballast, den es abzuwerfen galt. Die Zweifel wichen der Zuversicht, und ihre Unsicherheit ging in wachsendem Selbstvertrauen auf.
    Begleitet von den geisterhaften Schatten des alten Volkes, strebte sie der Stimme entgegen und glitt auf die Mitte des Gewölbes zu, das auf wundersame Weise noch immer in Dunkelheit gehüllt lag.
    Als wäre sie diesen Weg schon hundertmal gegangen, schwebte sie über eine schmale Brücke, deren steinerner Bogen unmittelbar vor ihr aus den Schatten auftauchte, und weiter über den kleinen unterirdischen Fluss hinweg, auf dessen Grund silberne Steine glänzten.
    Die Nebelwesen folgten ihr, eine wogende, gesichtslose Masse fadenscheiniger Leiber, deren Raunen und Klagen die Höhle erfüllte – und dann, ganz plötzlich, verstummte.
    Die Stille brach so unvermittelt über Ajana herein, dass sie auf der Brücke verharrte. Im selben Augenblick wurde der Platz vor ihr in ein mildes Licht getaucht; es entströmte einem riesigen Monolithen, der sich auf einer Insel inmitten der Höhle erhob, und vertrieb die Dunkelheit. Es spielte auch im Flusswasser.
    »Tol enni iell.«
    Ajana schwebte auf den Stein zu. Der riesige Felsen zog sie magisch an, und sie konnte nicht umhin, dessen erhabende Schönheit zu bewundern. Er war ebenmäßig gearbeitet und so makellos geschliffen, als wäre er das Werk eines begnadeten Bildhauers.
    Auch die Nebelgestalten schienen von dem Anblick überwältigt. Raunend und wispernd strichen sie um den Monolithen herum, glitten daran empor und wieder herunter, als hätten sie ihn nie zuvor gesehen.
    Ajana beachtete sie nicht. »Naneth?«, flüsterte sie voller Ehrfurcht.
    Das Wort war wie ein Schlüssel, der eine Tür öffnete. Kaum, dass Ajana es aussprach und den Felsen berührte, verblasste die braungraue Farbe, und der Stein wurde so durchscheinend, als bestünde er aus reinem Kristall. Auch die Umrisse veränderten sich. Auf der eben noch glatten Fläche bildeten sich unzählige Facetten, bis der Monolith wie ein riesiger Edelstein erstrahlte. Das milde Licht gewann an Kraft, brach sich in den Facetten und verlieh dem Stein einen so prachtvollen Glanz, dass Ajana zurückwich und geblendet die Augen schloss.
    Die Nebelgespinste schwebten hastig davon und zogen sich ehrfürchtig an den äußersten Rand der Insel zurück, doch Ajana verspürte keine Furcht. Als sie die Augen wieder öffnete, strahlte der Monolith noch immer von innen heraus, und sein Glanz hüllte die Insel ein.
    Gefangen von der Wirkmacht des Augenblicks, bewegte sie sich wieder näher an den Stein heran und streckte die Hand aus, um ihn zu berühren. Doch wie zuvor bei dem Vorhang aus Wasser glitt ihre Hand einfach durch den Kristall hindurch.
    »Es ist das bittere Los der Seele, dass ihr die sinnlichen Genüsse der Lebenden verwehrt bleiben.« Inmitten des Steins erschien das geisterhaft durchscheinende Gesicht einer anmutigen Frau. Ihre Gesichtszüge erinnerten Ajana an Inahwen, doch im Gegensatz zu der jungen Elbin trug sie die hellen Haare kunstvoll hochgesteckt und wirkte um Vieles reifer.
    Ajana fuhr erschrocken zusammen und presste sich die Hand schuldbewusst an die Brust. »Verzeiht«, sagte sie schnell. »Ich … ich wollte Euch nicht …«
    »Stören?« Die Elbin lachte in einem eigenartigen Tonfall, aber es lag keine echte Freude darin.
    »Seid Ihr Gaelithil?«, fragte Ajana schüchtern. »Man sagte mir, eine

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