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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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Ajana ihn näher betrachten wollte, erklang plötzlich wieder dieses schrille, pfeifende Geräusch in ihrem Ohr. Ihr wurde schwindlig, und sie trat so heftig in die Bremse, dass die Reifen auf dem Asphalt quietschten. Nur wenige Schritte von den Gleisen entfernt blieb sie stehen und presste die Hand auf das schmerzende Ohr. In diesem Augenblick spürte sie ein Vibrieren im Boden, dann donnerte der Regionalexpress auch schon über den ungesicherten Bahnübergang.
    Fassungslos starrte Ajana auf die rot-schwarzen Waggons, die dröhnend an ihr vorbei schossen, und dann auf die Schranken, die sich noch immer nicht bewegten.
    Wenn sie nicht angehalten hätte …
    Ajana wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als verlöre das harte Pflaster der Straße jede Festigkeit und geriete ins Schwanken. Sie ließ das Fahrrad zu Boden fallen, sank auf den Bordstein nieder und verbarg das Gesicht in den zitternden Händen.
    Nur ganz allmählich wurde ihr bewusst, welch unglaubliches Glück sie gehabt hatte. In den vergangenen zwei Wochen war sie immer wieder in lebensbedrohliche Situationen geraten. Doch so knapp wie heute war sie dem Tod noch nie entronnen.
    Als das Rattern des Zugs in der Ferne verklang, hob Ajana den Kopf und maß mit den Augen die Entfernung zu den Gleisen ab. Fünf, vielleicht sechs Meter!, dachte sie erschüttert. Nur ein paar Schritte bis zum Tod. Hilfe suchend blickte sie sich um, aber die Straße war menschenleer. Auch der schwarz gekleidete Mann auf der anderen Seite des Bahnübergangs war wie vom Erdboden verschluckt …

 
     
     

     
     
    Udnobe, 595 Winter n. A.
     
    »Bei den Feuern des Wehlfangs, das ist unmöglich!«
    Dem zornigen Ausruf folgte ein dröhnendes Scheppern, als würde eine metallene Schale zu Boden geworfen. Dann rauschte eine hoch gewachsene, schwarzhaarige Frau mit wallenden Gewändern an den dunkelhäutigen Uzoma vorbei, die zu beiden Seiten des steinernen Torbogens zum Altarraum Wache hielten.
    »Nichtsnutziges Opferblut, stümperhafte Artefakte! So wird das nie etwas. Oh, wie ich sie hasse, diese …« Ohne die beiden Wächter zu beachten, hastete die Priesterin durch die schmucklosen, von flackernden Öllampen erhellten Gänge des heiligen Tempels und entschwand ihren Blicken. Die zornigen Flüche verklangen, und das Echo der Stimme verhallte in der lastenden Stille des Gemäuers. Es dauerte eine Weile, bis sich der Staub legte, den die Gewänder der Priesterin vom Boden aufgewirbelt hatten. Dann kehrte wieder Ruhe im Heiligtum des neuen Gottes ein, und die beiden Uzoma wechselten schweigend fragende Blicke.
     
    Ohne anzuklopfen, riss Vhara, die Hohepriesterin des neuen Gottes und engste Beraterin des Whyono, des Herrschers über alle Uzoma, die Tür zum Schlafgemach des Regenten auf und stürzte in den Raum. Mit weit ausholenden Schritten durchquerte sie das fensterlose, schwach erleuchtete Gemach, trat vor das breite Bett, das mit weichen Fellen bedeckt war, und stemmte missbilligend die Fäuste in die Hüften.
    Das Geräusch der schweren Tür, die krachend ins Schloss fiel, ließ das eng umschlungene Paar, das sich in augenfälliger Pose auf dem Bett wälzte, erschrocken aufblicken. Hastig lösten sich die beiden Gestalten voneinander und versuchten vergeblich, den eindeutigen Anblick zu entschärfen.
    Die Priesterin hatte genug gesehen. Ihr Blick traf den des dunkelhäutigen Jungen, der verschämt auf dem Bett kauerte und sie mit großen Augen anstarrte, mit der Schärfe eines Schwerthiebs. »Raus mit dir, elende Ratte!«, fuhr sie ihn an, ergriff das grob gewebte Gewand am Fußende des Bettes und schleuderte es dem Uzomaknaben verächtlich entgegen.
    Dieser raffte es an sich und versuchte seine Blöße unbeholfen zu bedecken, während er sich hastig davonstahl, aber die Priesterin würdigte ihn keines weiteren Blickes. »So vergnügst du dich also, während ich mich bis an den Rand der Erschöpfung abmühe, das Schlimmste zu verhindern!«, fuhr sie Othon zornig an.
    »Vhara!« Der Regent der Uzoma und seines Zeichens Whyono aller Stämme, lächelte beschämt. »Bitte beruhige dich doch. Ich …«
    »Du dachtest wohl, ich sei beschäftigt, und wolltest die Gelegenheit nutzen, um dich ein wenig zu amüsieren?« Die Priesterin sprach in einer so abfälligen Weise, dass Othon eines der Felle in Erwartung eines Wutanfalls schützend vor den Körper zog. »Vhara, du weißt doch, die Knaben bedeuten mir nichts, gar nichts. Sie sind ein

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