Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Titel: Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
Vom Netzwerk:
Aufmerksamkeit in den wachen Minuten entweder Miya oder den Kwannen, die dem von einem Tarpan gezogenen Karren in einer langen Prozession folgten. Es mussten an die hundert sein, und Yenu konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass das ganze Dorf mitgekommen war. Die Frauen trugen schlichte helle Überkleider und knielange Röcke, die von bunt bestickten Gürteln gehalten wurden. Um den Hals wie um die Hand- und Fußgelenke hatten sie Ketten aus bunten Perlen geschlungen, und ihre Haare waren mit bunten Tagarafedern geschmückt. Die Krieger waren unbewaffnet, wie es der Brauch verlangte. Über den weiten weißen Hosen trugen sie bunte Schamtücher, dazu reich bestickte Umhänge in leuchtenden Farben und goldenen Oberarmreifen. Die Gewänder vermittelten den Eindruck von Fröhlichkeit, doch das Schweigen, das über den Kwannen lastete, strafte diesen Eindruck Lügen. Wie die meisten Stämme Andauriens folgten auch sie nur unwillig dem Ruf der Priesterinnen, um dem Einen zu huldigen.
    Sie haben Angst, schoss es Yenu durch den Kopf. Und sie fragte sich, warum es in Andaurien so weit hatte kommen müssen, dass sich die Menschen gegenseitig zur Schlachtbank führten?
    Yenu seufzte. Diese Frage war widersinnig. Ebenso gut konnte sie sich fragen, warum die Sonne an jedem Morgen aufging.
    Es war immer so gewesen, und es würde so lange so bleiben, wie der eine Gott über Andaurien herrschte. Jedes Jahr zum großen Opferfest wurden von den Priesterinnen fünf Dörfer auserwählt, die »freiwillige« Menschenopfer zu Ehren des Einen stellen mussten. Wer sich weigerte, den erwarteten furchtbare Strafen. Yenu erinnerte sich noch gut an den Bericht einer völlig verstörten Frau, in deren Dorf die Tempelkrieger alle Kinder getötet hatten, weil das Stammesoberhaupt den Priesterinnen das freiwillige Blutopfer vorenthalten hatte.
    Das Blut unschuldiger Frauen, die ihr Leben dem Einen aus freien Stücken hingaben, galt als besonders mächtig. Doch die Zeiten, in denen dieses Blut tatsächlich aus freien Stücken floss, waren längst Geschichte. Auch die Hedero in Yenus Heimatdorf hatte das schwere Los viele Winter zuvor einmal getroffen. Yenu konnte sich jedoch kaum noch daran erinnern, denn damals war sie noch zu klein gewesen, um zu verstehen, was da vor sich gegangen war. Nun sollte sie selbst das Opfer sein.
     
    Die Dunkelheit brach herein, und die Nebel in den Sümpfen wurden dichter. Wie schon in den vergangenen Nächten lagerten die Kwannen auch diesmal direkt am Wegrand, da es in dem sumpfigen Gebiet kaum trockene Flächen gab, die groß genug waren, um eine so große Anzahl von Menschen aufzunehmen.
    Yenu suchte in der Enge des Karrens nach einer halbwegs bequemen Stellung, um ein wenig zu schlafen. Ihr Blick streifte Miya, die immer noch so zusammengekauert dasaß wie schon seit Stunden. Sie hatte aufgehört zu schluchzen, und Yenu hoffte aus ganzem Herzen, dass der Schlaf ihrer Freundin ein wenig Trost spendete. Erschöpft streckte sie sich aus und bettete den Kopf auf den Arm, dennoch dauerte es eine ganze Weile, bis der Schlaf auch zu ihr kam.
     
     

    ***
     
    Es war weit nach Mitternacht, als Jarmil seine Gruppe lautlos vom Weg hinunter und in das Unterholz führte. Hundert Schritte voraus sah er das Licht der Fackeln und Wachfeuer, die den Lagerplatz der Kwannen spärlich erhellten.
    Auf Jarmils Stirn zeigte sich eine steile Falte, die seine Anspannung verriet. Seit die Stämme Andauriens zum Tempel strömten, war ihm noch keine Gruppe dieser Größe begegnet, die unbewaffnet war. Hundert oder mehr Kwannen in Festgewändern, das waren mehr, als er jemals zu hoffen gewagt hatte, und er war entschlossen, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.
    Während Maimun, der Fährtensucher, seine Gruppe auf der anderen Seite des Weges auf die Kwannen zuführte, folgten Jarmil und seine Leute vorsichtig einem schmalen Pfad durch das Unterholz. Sie achteten auf jeden Ast, hüteten sich vor jedem losen Stein und vermieden jedes Geräusch, das sie hätte verraten können – lautlose Schatten, die durch die Nacht huschten.
    Kurze Zeit später erreichten sie die ersten schlafenden Kwannen, doch für einen Angriff war es noch zu früh. Das Lager erstreckte sich eine ganze Pfeilschussweite entlang des Wegs. Jarmil erkundete die Lage voller Sorge. Er war sich bewusst, dass der ersten Schlag darüber entscheiden würde, ob der Überfall ein Erfolg wurde oder nicht. Wenngleich sie bewaffnet waren, waren sie den Kwannen doch

Weitere Kostenlose Bücher