Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
einen erfahrenen Führer werde ich mich verirren. Ich werde verdursten oder im Treibsand ersticken, ehe ich auch nur die Hälfte des Wegs zurückgelegt habe.«
»Ja, es ist eine gefährliche Reise«, pflichtete Asza ihr bei. »Aber du kannst es schaffen.« Sie deutete auf den verdorrten Baum. »Der Ulvars ist tot«, sagte sie so nachdrücklich, dass es fast schon ungeduldig klang. »Der Hellgarnbaum in Andaurien ist nun für dich der einzige Weg heimzukehren.« Sie maß Ajana mit einem schwer zu deutenden Blick und fügte hinzu: »Vergiss nicht: Auch deine Freunde sind in großer Gefahr.«
Ajana schwieg nachdenklich. Unschlüssig wanderte ihr Blick von der jungen Göttin zum Ulvars und wieder zurück. Wie viel wollte ihr das Schicksal noch aufbürden? Wie viele Rückschläge vermochte sie noch zu ertragen? Am Abend zuvor hatte sie geglaubt, ihr Abenteuer in Nymath gehe dem Ende entgegen. Doch nun …
Wie eine düstere Vision rief sie sich ihren Traum von zu Hause in Erinnerung, sah ihre Mutter, den Vater … Wie viel Zeit blieb ihr noch?
»Du sorgst dich um jene, die du zurückgelassen hast.« Asza schien zu spüren, was sie bewegte.
Ajana nickte betrübt. »Ich habe von ihnen geträumt. Es war schrecklich …« In knappen Worten schilderte sie der jungen Göttin, was sie bewegte.
»Die Macht der Träume darf nicht unterschätzt werden«, mahnte Asza, als Ajana geendet hatte. »Oft zeigen sie uns die Vergangenheit oder die Gegenwart, aber manchmal geben sie uns auch Hinweise auf das, was kommen mag.«
Ajana blickte Asza an. Eine Frage brannte ihr auf der Zunge, aber sie fürchtete sich vor der Antwort und zögerte, sie auszusprechen. Schließlich fasste sie sich ein Herz und fragte: »Und von welcher Art war dieser Traum?«
»Erkennst du es nicht?« Asza zog eine Augenbraue in die Höhe und wiederholte langsam die Worte, die Ajanas Vater im Traum gesagt hatte: »Es ist für uns alle ein hartes Jahr gewesen.« Sie machte ein Pause, um den Worten Gewicht zu verleihen, und rügte dann hinzu: »Die Antwort auf deine Frage liegt in diesen Worten.«
»Ein Jahr!« Ajana spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Ihre Miene hellte sich auf. »Er hat gesagt, dass sie schon ein Jahr nach mir suchen«, stieß sie hervor. »Aber so lange bin ich noch gar nicht fort.«
»Es war die Zukunft, die der Traum dir zeigte.« Asza nickte bedächtig. »Es liegt in deiner Hand zu verhindern, dass es geschieht. Dir bleibt jedoch nicht viel Zeit. Vhara wird schon bald erfahren, dass ihr heimtückischer Angriff auf den Ulvars von Erfolg gekrönt war. Es steht zu befürchten, dass sie um die Macht des Hellgarnbaums weiß. Sie wird voraussehen, dass du versuchen wirst, ihn zu erreichen …«
»Aber wie kann ich ihn finden?«, fragte Ajana verzagt. »Andaurien ist groß. Selbst wenn es mir gelingen sollte, die Wüste zu durchqueren, gibt es doch niemanden, der mich dort führen könnte.«
»Nicht in Nymath, das ist richtig«, stimmte Asza ihr zu. »In Andaurien jedoch kennt auch heute noch ein jeder den heiligen Baum. Ich bin sicher, man wird dir den Weg weisen. Durchquere das Grinlortal und reite immer nach Norden. Der Hellgarnbaum ist nur wenige Tagesritte vom Rand der Wüste entfernt.«
»Und wann muss ich aufbrechen?« Der Gedanke, dass es für eine Heimkehr noch nicht zu spät war, hatte Ajana gepackt und ließ die möglichen Gefahren der Reise geradezu nebensächlich erscheinen.
»Am besten sofort!« Der drängende Tonfall ließ keinen Zweifel daran, wie ernst es Asza damit war. »Jeder Augenblick, der ungenutzt verstreicht, kann sich nachteilig auf das Gelingen deiner Reise auswirken.«
»Sofort? Aber ich kann doch nicht einfach losreiten. Seht mich an. Ich habe weder Vorräte noch Wasser bei mir – nicht mal einen Sattel und auch keine Decke. Ich muss auf jeden Fall nach Sanforan zurückkehren, um die Reise vorzubereiten. Außerdem muss ich den Hohen Rat informieren und um eine Eskorte bitten. Inahwen und Keelin werden mich sicher auch begleiten wollen und …«
»Warte!« Asza hob mahnend die Hand. »Willst du wirklich so viele in Gefahr bringen?«, fragte sie abratend. »Bedenke, dass du ins Herz des Feindeslands reiten musst. Ein einzelner Reiter vermag sich dort geschickt zu verbergen, doch eine Eskorte …« Sie schüttelte den Kopf. »Auch wenn es dir sicherer erscheinen mag, in Begleitung zu reiten, so wäre es doch ein großer Fehler. Die Anhänger des dunklen Gottes würden euch aufspüren und töten, ehe ihr auch
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