Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
der Ulvars dem Unausweichlichen noch entgegenzusetzen hatte. Inahwen spürte seine Schmerzen, als wären es die eigenen, fühlte, wie er kämpfte, und wusste doch, dass er unterliegen würde. Sie konnte nichts mehr für ihn tun, außer seine Pein zu lindern. So spendete sie ihm einen Großteil ihrer eigenen heilenden Kräfte, bis sie selbst Gefahr lief, der Schwäche zu erliegen, und zog sich dann, erfüllt von Trauer über die eigene Unzulänglichkeit, von dem erlöschenden Lebensfunken zurück.
Ihre Miene war unbewegt, doch ihre Haltung zeugte von Schwäche und großer Traurigkeit, als sie auf Keelin und Gathorion zutrat, die ihr Wirken schweigend beobachtet hatten.
»Die Botschaft des Falken spricht die Wahrheit«, sagte sie mit bebender Stimme. »Der Ulvars stirbt. Die Flamme des Lebens erlischt. Ich spüre, wie er kämpft. Doch er wird diesen Kampf nicht gewinnen.«
»Bei den Göttern!«, entfuhr es Gathorion. »Können wir denn gar nichts für ihn tun?«
»Ich habe ihm gegeben, was ich an Kräften aufbieten konnte. Ich habe seine Schmerzen gelindert und ihm Trost gespendet«, erwiderte Inahwen mit matter Stimme. »Doch das wird das Siechtum nicht aufhalten. Am Ende wird er erliegen.«
»Wem?«, fragte Keelin. »Sind es die Nachwirkungen des Feuers, die ihn töten?«
»Gegen das Feuer vermochte er sich noch zu schützen.« Inahwen schüttelte betrübt den Kopf. »Gegen die Kräfte der Zerstörung, die nun in ihm wüten, ist er machtlos.« Sie blickte auf und schaute die beiden Männer an. In ihren Augen standen Tränen. »Dunkle Mächte waren hier am Werk«, sagte sie mit unheilvoller Stimme. »Der Lebenswillen des Ulvars ist gebrochen. Er zerstört sich selbst. Einmal begonnen, lässt sich der Prozess nicht mehr aufhalten. Ich kann es mir nicht erklären, aber es scheint, als wolle irgendjemand mit aller Macht verhindern, dass er seine Kräfte zurückgewinnt.«
»Aber wer?«, überlegte Keelin laut. »Die Bewohner Nymaths sicher nicht. Wollten Raiden, Katauren, Fath, Onur oder gar Wunand den Baum töten, hätten sie ihre Äxte genommen und ihn gefällt. Den Elben ist – oder war – der Baum heilig. Wem also könnte der Sinn danach stehen, den Baum zu vernichten?«
»Jemandem, der nicht will, dass Ajana in ihre Heimat zurückkehrt.« Die Art, wie Gathorion Keelin bei diesen Worten anschaute, versetzte dem Falkner einen schmerzhaften Stich.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte er entrüstet und fügte hinzu: »Ihr denkt doch nicht etwa, dass ich mir den Tod des Ulvars wünsche, um Ajana in Nymath zu halten?«
»Nun, ihr Menschen seid bisweilen doch recht absonderlich«, erwiderte Gathorion ohne eine Spur des Vorwurfs in der Stimme. »Insbesondere die Liebe treibt euch immer wieder zu Taten, die ihr später bereut und …«
»Das Gift stammt nicht von Menschenhand«, unterbrach Inahwen ihren Bruder. »Was hier geschieht, übersteigt die Kräfte Sterblicher bei weitem. Hier wurde Magie gewoben. Eine fremde, leise Magie mit überaus tödlicher Wirkung, die durch nichts aufgehalten werden kann.« Sie wandte sich um und schaute auf den Ulvars, der düster und traurig hinter ihr aufragte. »Selbst mir fällt es schwer, sie zu beschreiben«, fuhr sie fort. »Es ist, als wenn der Ulvars sich selbst vergiftete. Irgendetwas oder irgendjemand hat ihn dazu bewogen, das Gift selbst hervorzubringen, das ihn nun qualvoll tötet. Er wehrt sich, aber das Gift ist zu mächtig. Noch vor Sonnenaufgang wird der letzte Lebensfunke in ihm erlöschen.«
»Dann ist er wirklich verloren?«, fragte Keelin tief betroffen.
»Nicht nur er, auch die Hoffnung meines Volkes.« Mit Tränen in den Augen wandte sich Inahwen um und machte sich daran, den Hügel hinabzugehen. »Wir reiten zurück«, forderte sie Keelin und Gathorion auf. »Hier können wir nichts mehr ausrichten. Das Einzige, das wir jetzt noch tun können, ist, unserem Volk die schreckliche Kunde zu überbringen.«
»Aber was ist mit Ajana?«, warf Keelin ein. »Sind wir nicht auch aufgebrochen, um sie zu suchen?«
Inahwen blieb stehen und schaute ihn an. »Es ist lange her, da Horus ihre Spur in der Dunkelheit des Waldes verlor«, gab sie zu bedenken. »Wenn sie wirklich zum Ulvars geritten ist, hat sie ihn lange vor uns erreicht. Sie wird gespürt haben, dass hier etwas nicht stimmt. Vermutlich ist sie bereits auf dem Rückweg nach Sanforan.«
»Aber dann hätten wir ihr begegnen müssen!«, hielt Keelin ihr entgegen.
»Hätten wir das?« Trotz der Dunkelheit
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