Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
musste gehen? Und wohin? Schlagartig war sie hellwach. Was ging hier vor?
»Sie fiebert noch, und es sind nur mehr wenige Sonnenaufgänge, bis die Gruppe aufbricht«, sagte der Heiler. »Es tut mir Leid, aber ich kann dir nichts versprechen.«
»Wenn sie nicht laufen kann, werden wir sie eben zum Tempel tragen.« Eine grimmige Entschlossenheit sprach aus den Worten des anderen Mannes. »Wichtig ist, dass sie überlebt. Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass eine unserer Töchter hingegeben wird, wenn nur die Spur einer Hoffnung besteht, dass wir diese wertlosen Hederofrauen an ihrer Statt übergeben können.«
Wertlose Hederofrauen … Miya zuckte innerlich zusammen, als sei sie geschlagen worden. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um den Anschein des Schlafens aufrecht zu halten, doch die Männer waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie es vermutlich nicht einmal bemerkt hätten, wenn sie sich geregt hätte.
… zum Tempel tragen … an ihrer Statt übergeben … dass eine unserer Töchter hingegeben wird. Gesprächsfetzen, die sich langsam zu einem erschreckenden Ganzen fügten, wirbelten durch ihre Gedanken, während sie die Männer weiter belauschte.
»Das Gift ist tief in ihren Körper vorgedrungen«, gab der Heiler gerade zu bedenken. »Wenn sie wach wäre und schlucken könnte, könnte ich es mit einem Aufguss aus Rabdal versuchen. Aber so …«
»Wie auch immer, ich erwarte, dass du ihr Leben rettest«, sagte der andere Mann bestimmt. »Wenn wir mit den Opfergaben aufbrechen, muss sie dabei sein.«
Der Boden knarrte, als er sich umdrehte und sich anschickte, die Hütte zu verlassen.
»Idapon, warte!« Der Heiler eilte ihm nach und nahm das Licht mit sich fort. Miya hörte, wie die beiden die Leiter hinunterstiegen und sich entfernten. Sie wartete noch einige Herzschläge lang, dann setzte sie sich auf und starrte in die Dunkelheit Opfergaben! War es das, was die Kwannen in ihnen sahen?
… zum Tempel tragen … an ihrer Statt übergeben … dass eine unserer Töchter hingegeben wird … Miya hatte das Gefühl, zu Eis zu erstarren, und endlich verstand sie, warum die Kwannen sie so freundlich aufgenommen hatten.
Als Keelin erwachte, war der Nachmittag schon weit vorangeschritten. Drei Nächte lang folgten sie Ajana und Abbas schon durch die lebensfeindliche Nunou, aber diesmal war etwas anders. Abrupt setzte er sich auf, als sei er aus einem Albtraum aufgeschreckt, doch nicht ein Traum war es, der ihn geweckt hatte. Es war die Stille.
Obwohl es so heiß war, dass die Luft über dem Boden wie Wasser flimmerte, schien es, als sei die Welt ringsumher zu Eis erstarrt – leblos und tot. Aileys und Kruin lagen nicht weit entfernt im Schatten einer Sanddüne und regten sich nicht. Inahwen war wach. Sie saß ein Stück entfernt an der schattigen Flanke der Düne und schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte, denn sie gab ihm ein Zeichen, leise zu sein.
Alarmiert wanderte Keelins Hand zum Griff seines Kurzschwerts. Die Finger schlossen sich fest um das warme Metall, während er gegen das grelle Licht der Wüstensonne anblinzelte und sich aufmerksam umschaute.
Er wünschte, Horus wäre da, aber der Falke war fortgeflogen, um zu jagen, und Keelin wusste, dass es lange dauern würde, ehe er zurückkehrte.
Neben ihm regte sich Aileys im spärlichen Schatten. Sie war jetzt auch wach. Mit verschlafenem Blick setzte sie sich auf, unterdrückte ein Gähnen und wollte etwas sagen, doch Keelin legte mahnend den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung und wandte sich um. Aber es war nur loser Sand, der sich wie ein kleiner Erdrutsch von der sonnenbeschienenen Flanke der Düne löste, die ihnen gegenüber lag.
Davor standen die Pferde, erschöpft von der Hitze und mit hängenden Köpfen. Die Tiere schienen keine Bedrohung zu spüren.
Nur loser Sand … Keelin wollte sich abwenden, aber etwas an dem Gedanken machte ihn stutzig.
»Keelin?« Aileys bewegte sich neben ihm und richtete sich auf. »Was ist los?« Noch während sie das sagte, floss erneut ein Sandstrom die Düne herab.
»Schscht!« Keelin ließ den Sand nicht aus den Augen. Der Strom war breiter geworden und floss nun unablässig, während sich am Fuß der Düne zwei weitere Sandströme gebildet hatten.
Ein kurzer Seitenblick zu den Pferden zeigte Keelin, dass diese noch immer ruhig waren. Dösend warteten sie auf die Kühle des Abends.
Inahwen war das
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