Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
fangen wir an?«, fragte Terka ratlos angesichts der gewaltigen Ausmaße der Tempelstadt.
»Wir reiten direkt zum großen Tempel«, beharrte Suara. »So wie wir es besprochen haben. Warum sollten wir unsere Pläne ändern, nur weil da ein paar mehr Häuser herumstehen, als wir erwartet haben?« Sie schnalzte mit der Zunge und ließ ihr Pferd antraben. »Kommt mit, wenn wir weiter nur gaffen, werden wir unser Ziel nie erreichen.«
***
Keelin floh. Sein Atem ging keuchend, die Füße stolperten durch den losen Sand. Er wusste, dass er zu langsam war, wusste, dass es keinen Sinn hatte zu fliehen, und doch rannte er weiter um sein Leben. Der Boden erzitterte unter dem Gewicht der Echse, die Rufe der anderen drangen wie aus weiter Ferne durch das Rauschen in seinen Ohren – und mittendrin hörte er den schrillen Schrei eines Falken.
Horus!
Gegen das Licht der sinkenden Sonne sah er den Falken auf sich zukommen. Seine Furcht und das Entsetzen teilten sich dem Vogel mit, dessen wütender Hass auf die Echse im Gegenzug in dicht aufeinander folgenden Wellen durch Keelins Bewusstsein brandete. Die Wut des Falken war so ungeheuerlich, dass sie sogar Keelins eigene Gefühle hinwegzufegen drohte. Er wehrte sich dagegen und versuchte ruhig zu bleiben, während er Horus gleichzeitig ein Bild der Stelle sandte, an der ihm die Echse verwundbar erschien – die Augen.
Horus verstand. Wie ein Pfeil schoss er über Keelin hinweg, stürzte nieder auf die Echse, krallte sich an den schuppigen Augenwülsten fest und hackte unter heftigem Flügelschlag auf die Augen ein.
Keelin keuchte. Bei aller Erfahrung war es ihm fast unmöglich, das eigene Bewusstsein gegen die ungeheure Fülle von Empfindungen aufrechtzuerhalten, die über den tobenden Falken auf ihn einstürmten: Unbändiger Zorn mischte sich mit dem Gefühl zupackender Krallen, dem heftigen Klatschen der Flügel und dem Geschmack von Blut in seinem Mund, als Horus’ scharfer Schnabel die erste Wunde riss.
Die Echse gab ein zorniges Brüllen von sich und warf den Kopf wütend hin und her. Doch Horus ließ sich nicht abschütteln. Seine Krallen und der Schnabel rissen und zerrten weiter an der lederartigen Haut, rasend, wütend und zerstörerisch.
Keelin schloss die Augen und hob die Hände an die Schläfen. Er war jetzt eins mit dem Falken, und Horus war eins mit ihm. Sein Herz hämmerte im Takt des Falkenherzens, die Arme waren schlagende Flügel, der Mund ein Schnabel und rot von Blut.
Die Echse strich den Kopf über den Sand, um den Peiniger abzustreifen, aber Horus ließ nicht locker. Nur ein einziges Mal flog er auf, setzte den Angriff aber sogleich an dem anderen Auge fort.
Mit dem Rest seines eigenen Bewusstseins beobachtete Keelin im schwindenden Licht voller Stolz, wie furchtlos der vergleichsweise winzige Falke dem geschuppten Untier zusetzte. Horus hatte keine Aussicht, den Kampf gegen die Echse zu gewinnen, aber Keelin hoffte, dass der Angriff sie in die Flucht trieb.
Obwohl die Echse keine Anstalten machte zu fliehen, änderte sich etwas. Obwohl Horus ihr keine schweren Verletzungen zufügte, wurden ihre Bewegungen immer langsamer, die Abwehr schwächer. Es schien, als falle es ihr immer schwerer, sich gegen die unvermindert heftigen Attacken des Falken zu wehren.
Dann, so plötzlich, dass es fast wie ein Wunder anmutete, bewegte sie sich gar nicht mehr.
Keelin zwang sich, gleichmäßig zu atmen, und sandte Horus einen beschwichtigenden Gedanken, dennoch dauerte es einige Herzschläge lang, bis der Falke von dem regungslosen Tier abließ. Er kam zu Keelin geflogen und setzte sich auf dessen Schulter. Die Flut von Gefühlen aus Wut und Zorn verebbte, und er putzte sein Gefieder so geflissentlich, als sei nichts geschehen.
»Danke«, stieß Keelin atemlos hervor. Wie immer dauerte es bei ihm wesentlich länger, der Gefühle Herr zu werden, die der Kampf des Falken in ihm hervorgerufen hatte. »Danke, mein Freund.«
»Hat … hat Horus die Echse etwa erlegt?« Aileys kam näher und starrte fassungslos auf das leblose Tier. »Einfach so?« Vorsichtig machte sie ein paar Schritte auf den geschuppten Körper zu, als müsse sie sich erst selbst davon überzeugen, dass ihre Augen sie nicht täuschten.
»Sieht so aus, aber er war es nicht!« Kruin grinste breit.
»Nicht? Aber wer dann?«, fragte Aileys.
»Die Nacht!« Das Grinsen des Uzoma wurde noch eine Spur breiter, als er die ratlosen Gesichter der anderen sah.
»Die Nacht?«, wiederholte
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