Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
das Gebinde, das ihn umhüllte.
»Müh dich nicht, alter Narr«, sagte der Jüngling spöttisch und fügte grinsend hinzu: »Gegen diese Fesseln bist auch du machtlos.«
Er wandte sich um und schaute zum Tor hinauf, durch das noch immer gleißend goldenes Licht flutete. »Wirklich schade, dass du dein Ziel nicht erreichen wirst«, sinnierte er, gerade so als spräche er zu sich selbst. »Wer mag es wohl sein, der sich da oben regt? Asnar oder Callugar? Wer mag es sein, der dich gerufen hat? War es Emo oder gar Gilian? Nun, wer immer es war, es wäre überaus unhöflich, ihn warten zu lassen. Den erwachten Schläfer dürstet es sicher nach Berichten, wie es den Völkern Nymaths ergeht. Gewiss möchte er erfahren, was in den langen Wintern seiner Abwesenheit vorgefallen ist.« Der Jüngling wandte sich wieder dem Wanderer zu und sagte ohne eine Spur des Mitleids in der Stimme: »Wirklich jammerschade, dass du ihm diesen Bericht nicht mehr erstatten kannst, wo du doch all die Winter so beharrlich zu jenen gesprochen hast, die dich nicht hören konnten. Und jetzt …«, er lachte spöttisch, »… jetzt, da endlich jemand deinen Worten lauschen würde, kannst du nichts mehr erzählen.« Er kniete sich dicht neben den Kopf des Wanderers und flüsterte ihm zu: »Du hast großes Glück, alter Narr, dass ich dich hier erwische. Hier, wo ich dich nicht töten kann. Nun wirst du, statt zu sterben, den Körperlosen bis in alle Zeiten Gesellschaft leisten, reglos und zur Untätigkeit verdammt.« Er legte die Stirn in Falten, hob die Hand ans Kinn und strich sich sinnend darüber. »Oder ist es vielleicht gar kein Glück?«, fragte er betont nachdenklich. »Wäre es gar besser zu sterben? Vielleicht wirst du dir ja schon bald wünschen, sterben zu können. In der langen, einsamen Zeit der Verbannung hast du ausreichend Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob deine Brüder nicht vielleicht ein gnädigeres Schicksal ereilt hat.« Er erhob sich und trat ein paar Schritte zurück. »Nun, wie auch immer. Tot oder gut verschnürt in die Verbannung geschickt. Mich wirst du jedenfalls nicht mehr belästigen. Und auch jener, der dort oben erwacht ist, wird meine Pläne nicht durchkreuzen.« Er hob die Arme. »Sieh genau hin!«, forderte er den Wanderer auf. »Man mag mir viele üble Eigenschaften nachsagen, aber unhöflich bin ich nicht. Wer immer dort oben wartet, wird nicht enttäuscht werden.«
Der Wanderer stöhnte und wand sich in seinen Fesseln. Er ahnte, was nun folgen würde, und es gab nichts, was er dagegen hätte unternehmen können. Hilflos musste er mit ansehen, wie sich die Gestalt den Jünglings binnen weniger Augenblicke in sein Ebenbild verwandelte. »Sorge dich nicht, Alter«, sagte er mit einer Stimme, die jene des Wanderers makellos nachahmte. »Die alten Götter werden von mir einen umfassenden Bericht erhalten. Ich werde ihnen versichern, dass es nichts gibt, das ihre Anwesenheit hier erfordert, auf dass sie sich beruhigt wieder schlafen legen können.« Er lachte siegessicher und fügte gut gelaunt hinzu: »Es war wirklich kurzweilig, mit dir zu plaudern, doch nun wird es Zeit, Abschied zu nehmen.« Er deutete hinauf zur Halle der Schlafenden und sagte bedeutsam: »Ich werde erwartet.« Mit einer knappen Geste rief er erneut Nebelgespinste herbei und fügte grinsend hinzu: »Außerdem können es deine Freunde kaum erwarten, dich wieder in ihrer Mitte zu wissen.«
Das erste zarte Grau, das sich im Osten über den Horizont wagte, fand Kelda in strömendem Regen auf einem umgedrehten Wasserkübel sitzend vor. Die Gewänder klebten ihr nass und schwer am Körper, das rote, krause Haar hing in wirren, feuchten Strähnen herab, und das rußgeschwärzte Gesicht hatte sie tief in den Händen vergraben.
Die Herdmeisterin weinte.
Die ganze Nacht hindurch hatte sie den Kriegern und Kutschern unermüdlich bei den Löscharbeiten geholfen, hatte Wasserkübel um Wasserkübel herbeigeschafft, bis ihre Hände voller blutiger Blasen gewesen waren, und sie hatte selbst dann nicht aufgegeben, um wenigstens einen der Wagen vor dem Feuer zu retten.
Aber alle Bemühungen waren vergebens gewesen.
Es war wie ein Fluch, wie ein böser Zauber, der immer dann, wenn einer der brennenden Wagen gelöscht schien, schon den nächsten Wagen in Flammen aufgehen ließ. Wie ein lebendiges Ding hatte das Feuer in seiner Gier alles verschlungen, was es vorgefunden hatte, und war erst erloschen, als auch der letzte Sparren
Weitere Kostenlose Bücher